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RIW 2008, 1
Löwisch 

Auch Arbeits- und Sozialrecht müssen in Europa zusammenwachsen

Abbildung 1

Der Autor 1963–1964 Richter in Stuttgart. 1969 Habilitation; seitdem o. Professor in Freiburg i. Br.; 1980–1989 Richter am OLG Karlsruhe. 1991–1995 Rektor der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg i. Br. 1991 Ehrendoktor der Ritsumeikan Universität Kyoto. Emeritierung 2005. Leiter der Forschungsstelle für Hochschularbeitsrecht der Universität Freiburg i. Br. und of counsel im Büro Stuttgart der Kanzlei Gleiss Lutz.

Das Zusammenwachsen der Volkswirtschaften Europas ist weit fortgeschritten und geht weiter. Das Recht hält mit diesem Prozess nicht immer Schritt. Die durch das irische Nein bedingte Verzögerung bei der Ratifizierung des Lissabon-Vertrages zeigt das gerade.

Um so wichtiger ist es, die bereits vollzogenen rechtlichen Schritte bewusst zu machen und aufzubereiten. Das gilt auch für das Arbeits- und Sozialrecht. Rechtsklarheit, auf die Arbeitnehmer wie Unternehmen angewiesen sind und die zugleich wesentlich zur Attraktivität der europäischen wie jeder anderen Ordnung beiträgt, entsteht durch die Anwendung des Rechts in der Praxis, insbesondere der Praxis der Gerichte, und durch den Diskurs in der Wissenschaft.

Schritte auf diesem Weg soll der IX. Europäische Kongress der Internationalen Gesellschaft für das Recht der Arbeit und der sozialen Sicherheit (IGRASS) leisten, der vom 16. bis 19. 9. 2008 in Freiburg im Breisgau stattfindet.

Sein erstes Thema gilt der Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf in den Mitgliedstaaten von EU und EWR und damit einem Fragenkreis, der seit zwei Jahren die deutsche Arbeitsrechtspraxis und Arbeitsrechtswissenschaft intensiv beschäftigt. Der Generalbericht von Irene Asscher-Vonk (Niederlande) und die Diskussionsbeiträge werden Einblick vor allem in die Umsetzung der Gleichbehandlungsrahmenrichtlinie in den einzelnen Mitgliedstaaten gewähren. Der Vergleich wird zeigen, wo die Zielsetzung der Richtlinie untererfüllt und wo sie übererfüllt ist und wo man die richtige Mitte gefunden hat. Daraus werden sich Handlungsoptionen nicht nur für den Gesetzgeber, sondern auch für den Rechtsanwender ableiten lassen.

Die Prosperität des zusammenwachsenden europäischen Wirtschaftsraums ruft nicht nur Wanderbewegungen zwischen den Mitgliedstaaten hervor. Vielmehr sind die legale wie die illegale Immigration nach Europa an der Tagesordnung. Das wirft die Frage nach Stellung und Schutz der Arbeitnehmer bei grenzüberschreitender Beschäftigung auf. Vor allem bei illegaler Beschäftigung ist sie noch weitgehend ungeklärt. Wie bewältigen die verschiedenen nationalen Rechtsordnungen diese Fragen und welche Lösungsansätze bietet das europäische Recht? Das ist das zweite Hauptthema, dem der Kongress in Freiburg, eingeleitet durch den Generalbericht von Ruth Nielsen (Dänemark), nachgehen wird.

Das Recht der Europäischen Gemeinschaften spart das Sozialrecht (noch) weitgehend aus. Das ändert aber nichts daran, dass die Sozialversicherungssysteme in Europa vielfach vor denselben Aufgaben stehen. Die wohl wichtigste dieser Aufgaben ist die Bewältigung der demographischen Entwicklung, vor allem in den Altersversorgungssystemen. Diesem Komplex gilt das dritte Hauptthema des Kongresses. Der auf einer Reihe von Länderberichten basierende Generalbericht von Professor Tomas Davulis aus Vilnius (Litauen) wird den Grund für eine Diskussion legen, an deren Ende die Formulierung von Aufgaben stehen kann, die sich auf diesem Feld auch der Europäischen Gemeinschaft stellen.

In der modernen Arbeitswelt dringen Informations- und Kommunikationstechnologien immer weiter nach vorne. Das gilt für den einzelnen Betrieb und das einzelne Unternehmen genauso wie für die Zusammenarbeit zwischen den Unternehmen auch über die Grenzen hinweg. Sich die damit verbundenen nationalen wie europäischen arbeitsrechtlichen Fragen bewusst zu machen, ist Aufgabe der einen Round-Table-Diskussion, die unter der Leitung von Rolf Birk (Trier) steht und an der u. a. Satoshi Nishitani (Japan) teilnehmen wird. Die andere Round-Table-Diskussion befasst sich – ausgerichtet von der spanischen Sektion – mit einem nicht minder aktuellen Problem der modernen Unternehmenswelt, nämlich den Verantwortlichkeiten des Arbeitgebers in komplexen Unternehmensorganisationen. Moderator ist Carlos M. Palomeque López (Spanien).

Recht muss, um wirklich Recht zu sein, auch durchgesetzt werden. Das ist im Arbeits- und Sozialrecht nicht selten schwieriger als in anderen Rechtsgebieten. Dementsprechend gibt es in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union unterschiedliche systematische Ansätze. Diese einem Vergleich zuzuführen und damit wechselseitig für die Rechtsanwendung in den Mitgliedstaaten fruchtbar zu machen, ist die Aufgabe des ersten unter der Leitung von Monika Schlachter (Regensburg) stehenden Workshops. Die in Deutschland noch in den Kinderschuhen steckende Mediation wird sich hier manche Anregung holen können. Der zweite, von Corinne Sachs-Durand (Frankreich) geleitete Workshop befasst sich mit den unterschiedlichen Wegen der Qualifizierung und Ausbildung von Rechtsanwälten und Rechtsberatern im Arbeitsrecht. Man darf gespannt sein kennenzulernen, welchen unterschiedlichen Stellenwert bei der Qualifizierung und Ausbildung das europäische Arbeitsrecht hat.

Insgesamt erwartet die Teilnehmer des Freiburger Kongresses ein spannendes Programm. Der sicher lebhafte Meinungsaustausch wird durch die Simultanübersetzung in die vier Sprachen Deutsch, Englisch, Französisch und Spanisch erleichtert.

Professor Dr. Dr. h.c. Manfred Löwisch, Freiburg

 
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