R&W Abo Buch Datenbank Veranstaltungen Betriebs-Berater
 
 
 
ZLR 2002, 137
Hufen 

Kehrtwende in der Lebensmittelpolitik – Kehrtwende im Lebensmittelrecht?

Prof. Dr. Friedhelm Hufen, Mainz

Am 21. und 22. März 2002 traf sich in Wiesbaden der 15. Deutsche Lebensmittelrechtstag. Dort wurde vor allem die Frage erörtert, ob und inwieweit der Verbraucher Einfluß auf die Lebensmittelqualität nehmen kann und soll. Die Veranstaltung stand unter dem Thema „Kehrtwende“. In ZLR 2/2002 und ZLR 3/2002 werden Vorträge veröffentlicht, die auf der Tagung gehalten wurden. Den Themenaufriß, mit dem Prof. Dr. Hufen den Lebensmittelrechtstag eröffnete, stellt die Redaktion diesem Heft als Editorial voran.

Als wir vor etwa einem Jahr die Thematik des 15. Deutschen Lebensmittelrechtstags 2002 festlegten, war das

Lebensmittelrecht und darüber hinaus die gesamte Politik noch „im Banne der Krise“. Die soeben ernannte neue Ministerin für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft hatte soeben die Kehrtwende in der Agrar- und Lebensmittelpolitik verkündet. Unbestreitbar war der Verlust des Verbrauchervertrauens durch BSE- und MKS-Krise. Verhaftet wurden seinerzeit die üblichen Verdächtigen. Grundannahme war, daß die industrialisierte Landwirtschaft an der Krise Schuld sei. In Verdacht gerieten auch die Globalisierung und die Weite der Märkte. Verdächtigt wurden weiterhin die Technisierung und die neuen mit Hilfe der Gentechnik gewonnenen Lebensmittel. Festgestellt wurden Überwachungsdefizite, die vor allem den dezentralen, sprich: föderalistischen Strukturen der Bundesrepublik und der ohnehin undurchsichtigen Struktur der Europäischen Kommission zugeordnet wurden.

Manches an diesen Vermutungen mag richtig sein. Feststellbar war und ist aber auch der Hintergrund einer spezifisch deutschen „Paradiessehnsucht“ und die Unterstellung, daß „Natürlichkeit“ immer besser als „Künstlichkeit“ sei. Die psychologischen Ursachen hierzu wurzeln wohl tief im deutschen Idealismus und in der Romantik; sie sind z.B. schön nachzulesen in der vierbändigen „Deutschen Geschichte“ bei Franz Schnabel.

Interessant für das Lebensmittelrecht waren die konkreten Folgerungen, die aus der Krise und deren Ursachen gezogen wurden. Sie liefen nicht nur auf eine Verstärkung des Verbraucherschutzes und intensive Verbesserungen der Verbraucherinformation durch einheitliche Biosiegel und ein völlig neu konzipiertes Verbraucherinformationsgesetz hinaus. Es wollte so scheinen, als stehe eine regelrechte Umerziehung des Verbrauchers hin zu mehr natürlichen Produkten und weg von den industriell gefertigten Fertigprodukten ins Haus. Lebensmittelpolitik wurde zum Instrument der umfassenden Umwelt- und Regionalpolitik bis hin zur Verkehrspolitik: Das Stich¬ZLR 2002 S. 137 (138)wort Regionalisierung und „local food“ wurde den Entwicklungen der europa-, wenn nicht weltweiten Arbeitsteilung im Lebensmittelmarkt entgegengesetzt. Organisationsdefizite sollen durch Bündelung von Kompetenzen und gestraffte Behörden, insbesondere ein Bundesamt für Verbraucherschutz und eine mit der Risikobewertung befaßte neue Behörde, bekämpft werden. Koordination und Mobilisierung des wissenschaftlichen Sachverstands sollen so helfen, weit ausgreifende Risikovorsorge zu betreiben.

Vor diesem Hintergrund ist es Aufgabe des 15. Deutschen Lebensmittelrechtstags, in gewissem zeitlichen und emotionalen Abstand auf wissenschaftlicher Basis die Vorschläge zu untersuchen. Insbesonders geht es um folgende Fragen:

  • Stimmen die Grundannahmen?

  • Sind die Alternativen wirtschaftlich realistisch?

  • Sind sie rechtlich durchsetzbar oder gibt es gemeinschafts- und verfassungsrechtliche Grenzen?

Zur Beantwortung dieser Fragen sollten bei der Veranstaltung namhafte Experten der Agrarökonomie ebenso beitragen wie Juristen mit verfassungs-, europa- und verwaltungsrechtlicher Kompetenz. Es sollte aber bewußt auch die Praxis zu Wort kommen. So hielt der zuständige Abteilungsleiter im Bundesministerium für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft selbst das Referat zum Thema „Local Food statt Euro-Food?“, und die Präsidentin der Verbraucherzentrale Bundesverband e.V. Berlin, Professor Dr. Edda Müller, brachte in einer engagierten Stellungnahme die Position der Verbraucher ein. An einer Podiumsdiskussion unter dem Leitthema „Kehrtwende im Lebensmittelrecht?“ waren sowohl die Wirtschaft als auch die Lebensmittelüberwachung, die Verbraucher und die Wissenschaft beteiligt. Die zentralen Beiträge werden in diesem Heft und im nächsten Heft der ZLR vorgestellt und damit zugleich einer breiteren Fachöffentlichkeit zugänglich gemacht.

 
stats