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RIW 2006, 1
Immenga 

Kartellrechtliche Risiken bei Manipulationen im Rahmen der Standardsetzung!

Abbildung 1

Langsam müssen sich auch die Patentanwälte an die weitreichende Wirkung des Kartellrechts gewöhnen. Im Juni 2005 hat die Europäische Kommission bereits eine Geldbuße in Höhe von 60 Mio. Euro gegen das Pharmaunternehmen AstraZeneca wegen missbräuchlicher Ausnutzung des Patentsystems und der Verfahren des Inverkehrbringens von Arzneimitteln festgesetzt, mit denen der Markteintritt von Wettbewerbern hinausgezögert wurde. Nunmehr hat die U.S.-amerikanische Federal Trade Commission (FTC) am 2. 8. 2006 in einem “Meilensteinverfahren” einstimmig entschieden, dass der Chiphersteller “Rambus Inc.” durch die Geheimhaltung von (eigenen) Patenten und zur Patentierung eingereichten Speichertechniken – während des laufenden Standardisierungsprozesses – gegen das U.S.-amerikanische Kartellrecht verstoßen hat. Die Schnittstelle zwischen Patentrecht und Kartellrecht gewinnt hierdurch deutlich an Brisanz.

Worum geht es? Die JEDEC (Joint Electron Device Engineering Council) ist eine Standardsetzungsorganisation. Sie wurde geschaffen, um industrielle technische Normen für Halbleiterbestandteile und integrierte Schaltkreise zu entwickeln. Im Jahr 1992 begann die JEDEC daran zu arbeiten, eine neue technische Norm für SDRAM einzuführen, den in Desk- und Laptops am weitesten verbreiteten Computerspeicher. Das U.S.-amerikanische Unternehmen Rambus, welches sich auf die Entwicklung von Speichertechnologien konzentriert, schloss sich zur damaligen Zeit der JEDEC an.

Die Teilnahme an der JEDEC beinhaltete die Verpflichtung, soweit möglich, die Aufnahme von patentierten Technologien in den Standard zu verhindern oder, falls nicht möglich, dass diese Technologien zumindest unentgeltlich oder zu angemessenen und diskriminierungsfreien Bedingungen lizenziert werden. Nach Auffassung der FTC hat Rambus entgegen dieser Verpflichtung bis 1996 (kurz vor Festlegung des Standards) an den Sitzungen teilgenommen. Denn Rambus hatte weder gegenüber der JEDEC noch gegenüber den anderen Mitgliedern diesbezügliche Aktivitäten offen gelegt: Man arbeitete bereits an verschiedenen ähnlichen Technologien, besaß ein Patent und hatte bereits mehrere Patentanmeldungen eingereicht. All diese Aktivitäten betrafen spezifische Technologien, welche später in den SDRAM-Standard aufgenommen wurden. Darüber hinaus soll Rambus die über den zukünftigen Standard erlangten Informationen – durch Änderung der eigenen Patentanmeldungen – berücksichtigt haben, um sicherzustellen, dass die Patente den Standard umfassen. Durch diese Strategie ist es Rambus gelungen, seine Patente und Patentanmeldungen – bis zur Festlegung des Standards – zu verheimlichen.

Die FTC kam zu dem Ergebnis, dass diese täuschenden Tätigkeiten als ausschließendes Verhalten (“exclusionary conduct”) zu qualifizieren seien und Rambus hierdurch in unrechtmäßiger Weise eine Monopolmacht auf den zugrunde liegenden vier relevanten Produktmärkten begründet habe. Die FTC hat daher einen Verstoß gegen Section 5 des FTC Act angenommen.

Festzuhalten ist: Standardsetzungsorganisationen werfen zahlreiche kartellrechtliche Probleme auf. Im vorliegenden Fall geht es jedoch um eine Spezialkonstellation: Die kartellrechtliche Bewertung einer sog. U-Boot-Taktik (hiernach werden “U-Boot”-Patente so lange geheim gehalten, bis die von ihnen abgedeckten Produkte auf den Markt kommen, und tauchen dann auf, wenn der Patentinhaber die Zahlung von Lizenzgebühren verlangt) bzw. eines Patenthinterhalts (”patent ambush”) im Kontext der Standardsetzung. Auch die Europäische Kommission hat erst kürzlich eine Untersuchung hinsichtlich des Europäischen Instituts für Telekommunikationsnormen (European Telecommunications Standardisation Institute – ETSI) abgeschlossen (s. Pressemitteilung IP/05/1565 v. 12. 12. 2005).

Praktische Folgen: Technische Standards berühren gewerbliche Schutzrechte, und die “Manipulation” von gewerblichen Schutzrechten ist in der Regel mit kartellrechtlichen Risiken behaftet. Die Rambus-Entscheidung schränkt den Spielraum von Inhabern gewerblicher Schutzrechte – im Rahmen ihrer Standardsetzungsbemühungen – ein. Das kartellrechtliche Instrument war hier das dem U.S.-amerikanischen Kartellrecht eigene Monopolisierungsverbot. Ob das fragliche Verhalten hierzulande den Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung darstellt, ist fraglich. Denn dies setzt eine Marktbeherrschung voraus. Auch in Europa ist die Entscheidung jedoch ernst zu nehmen: Dies beruht vor allem auf der Reichweite des Auswirkungsprinzips und der damit verbundenen extraterritorialen Anwendung des U.S.-amerikanischen Kartellrechts. Die Standardsetzung – welche in der Regel globale Wirkungen entfaltet – spielt sich damit auf einem neuen Spielfeld ab. Die Teilnehmer müssen ihr (patentrechtliches) Spiel den (kartellrechtlichen) Regeln anpassen und unterwerfen.

Fazit: Das derzeit heftig diskutierte Spannungsverhältnis von immaterialgüterrechtlichem Schutz vor Wettbewerb und kartellrechtlichem Schutz des Wettbewerbs erhält durch die vorliegende Entscheidung eine neue Facette. Nicht nur der Patentschutz, auch das Patentverfahren geraten zunehmend unter kartellrechtlichen Druck.

Rechtsanwalt Prof. Dr. Frank A. Immenga, LL.M., Frankfurt a. M.

 
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