YouTuber sind keine Zeitungsredaktionen
RA Dr. Simon Assion, Frankfurt a. M.
Der Fall ist bekannt: Mit den Worten “Meinungsmache vor der Wahl” hat Frau Kramp-Karrenbauer einen u. a. gegen die CDU gerichteten Wahlaufruf von neunzig YouTubern kritisiert. Die CDU-Vorsitzende verglich die YouTuber mit Zeitungsredaktionen und kündigte an, ihre Partei werde nun “offensiv” darüber diskutieren, welche Regeln aus dem “analogen Bereich” zukünftig auch “digital” gelten sollten.
Man könnte dieses Statement einfach als unglückliche Randbemerkung abtun. Es fiel am Ende einer langen Pressekonferenz und war vielleicht nicht vollständig durchdacht. Trotzdem verdient es Beachtung, denn viele Menschen in Deutschland haben sich darüber geärgert. Die Äußerung wirkte, als wolle sich die CDU für politische Kritik nun durch strengere Regulierung revanchieren. In einer Demokratie, in der staatliche Stellen bei Wahlkämpfen zu strikter Neutralität verpflichtet sind, wäre das ein unerhörter Vorgang.
Kritikwürdig ist die Äußerung aber auch deshalb, weil sie in rechtlicher Hinsicht von falschen Annahmen ausgeht. Wenn Frau Kramp-Karrenbauer andeutet, es gäbe im “analogen Bereich” Regeln, die YouTubern (oder Zeitungen) Wahlaufrufe verbieten, so ist dies falsch. Der Prozess des öffentlichen “Meinungskampfs” vor Wahlen ist verfassungsrechtlich erwünscht, und seine Teilnehmer verdienen besonderen Schutz (statt vieler BVerfGE 54, 129, 137 f.; BVerfGE 61, 1, 7). YouTuber sind dabei wichtige Akteure, genauso wie “analoge” Prominente, Politiker, Parteien, NGOs, Zeitungsredaktionen, Blogger und Podcaster. Eine Neutralitätspflicht hat dabei niemand, außer den staatlichen Institutionen selbst und dem öffentlichen Rundfunk.
Wahlaufrufe werden von der Meinungsfreiheit geschützt und gehören zu einer lebendigen Demokratie dazu. Rechtlich besteht in diesem Punkt kein Unterschied zwischen YouTubern und “normalen” Prominenten. Auch diese veröffentlichen gelegentlich Wahlaufrufe, und mit einigen dieser Prominenten hat die CDU sogar selbst Wahlkampf gemacht. Über “Meinungsmache” hat sich in diesem Fall niemand beschwert.
Selbstverständlich müssen für YouTuber im Internet bestimmte Regeln gelten. Solche Regelungen gibt es ja auch bereits. Sie stehen im Telemediengesetz, im Rundfunkstaatsvertrag, im Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb und teilweise sogar im Strafgesetzbuch. YouTubern ist beispielsweise ungekennzeichnete Werbung verboten (§ 6 TMG, § 5 a Abs. 6 UWG und § 58 RStV). Ob diese Regelungen auch politische Schleichwerbung verbieten sollten, wäre zu diskutieren. Dies hätte dann freilich nichts mehr mit der CDU-Kritik der neunzig YouTuber zu tun, denn es gibt keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass diese für ihre Äußerungen bezahlt worden sind.
Sicherlich muss unser Informationsrecht weiterentwickelt werden, um neuen Herausforderungen gerecht zu werden. Wenn die Politik aber wirklich darüber nachdenken sollte, ausgerechnet politische Äußerungen von YouTubern zu regulieren, dann muss sie beachten, dass solche Meinungsäußerungen für eine Demokratie wichtig sind. Sie genießen verfassungsrechtlich besonderen Schutz und lassen sich nicht einfach verbieten. Zu beachten sind auch die staatliche Neutralitätspflicht im Meinungskampf (BVerfGE 124, 300, 322 ff.) und das Gebot der Staatsferne der Medienregulierung. Es ist deshalb gut, dass es derzeit kein Gesetz gibt, das YouTuber davon abhalten könnte, “Meinungsmache” zu betreiben. Ein solches Gesetz wäre unweigerlich verfassungswidrig.
Ganz zu Recht hat sich Frau Kramp-Karrenbauer später auch präzisiert: In einem nachgeschobenen Tweet schrieb sie, sie halte es vor allem für eine Frage der “politischen Kultur”, dass YouTuber nicht zur “Zerstörung politischer Parteien der Mitte” aufrufen sollten. Also war es eine Debatte nicht über Rechts-, sondern über Kulturfragen, die Frau Kramp-Karrenbauer anstoßen wollte? Falls ja, dann wäre die Diskussion an dieser Stelle zumindest gut aufgehoben. Denn es ist keine Rechtsfrage, ob ein reißerischer Titel wie “Zerstörung der CDU” angemessen ist – jedenfalls solange es sich erkennbar nicht um einen Gewaltaufruf handelt. Und auch die Frage, ob die CDU wirklich eine “Partei der Mitte” ist, und ob man sie deshalb weniger stark kritisieren sollte, ist eine Kulturfrage. Frau Kramp-Karrenbauer vertritt zu dieser Frage vermutlich eine andere Sicht als die neunzig YouTuber. Wessen Sichtweise sich letztlich durchsetzt, entscheiden in einer Demokratie aber – wie immer – die Wähler.
RA Dr. Simon Assion, Frankfurt a. M.