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04.11.2013
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OLG Schleswig-Holstein: Voraussetzungen einer Deliktshaftung des Vorstandes einer Anlagevermittlungsgesellschaft

OLG Schleswig-Holstein, Urteil vom 23.5.2013 – 5 U 140/12

Amtliche Leitsätze

1. Nicht alle Normen des WpHG sind als Schutzgesetze i. S. d. § 823 Abs. 2 BGB anzusehen. Ein Bedürfnis, auch unmittelbar von den Organen eines Wertpapierdienstleistungsunternehmens oder seinen Angestellten Schadenersatz verlangen zu können, ist nicht anzuerkennen, weil die Aufsichtsbehörden, die Bußgeldtatbestände des WpHG und die vertraglichen Schadenersatzpflichten des Wertpapierdienstleistungsunternehmen für einen effektiven Schutz der Anleger sorgen.

2. Der Vorstand einer Anlagevermittlungsgesellschaft haftet, wenn er bei riskanten Geschäften die Kunden bewusst über Risiken und verminderte Gewinnchancen ungenügend aufklärt bzw. diese bewusst verharmlost hat. Hinsichtlich der allgemein notwendigen organisatorischen Vorkehrungen zur Sicherstellung einer ordnungsgemäßen Beratung trifft den Vorstand zunächst die sekundäre Darlegungslast.

3. Eine obligatorische Risikoaufklärung der Kunden in Schriftform ist erst mit § 31 Abs. 3 Satz 4, Abs. 3a WpHG durch das Anlegerschutz- und Funktionsverbesserungsgesetz vom 5.4.2011 in das Gesetz aufgenommen worden. Es hätte die Anforderungen an einen telefonischen Vertrieb von Vermögensanlagen und die Möglichkeit telefonischer Order überspannt, wenn grundsätzlich nur eine rechtzeitige Aufklärung des Kunden in Schriftform zulässig gewesen wäre.

4. Die Regelung in § 31d Abs. 1 und Abs. 3 WpHG n. F. erlaubt dem Wertpapierdienstleistungsunternehmen, den Kunden lediglich eine Zusammenfassung der wesentlichen Bestandteile der Zuwendungsvereinbarungen vorzulegen, wenn zugleich die Offenlegung weiterer Einzelheiten angeboten und gewährt wird. Es reicht deshalb aus, den Kunden in allgemeiner Art die Quellen der Zuwendungen zu nennen und deren Höhe in einer gewissen Bandbreite mitzuteilen.

5. Ob eine Extraaufklärung beim Erwerb Wertpapieren über die fehlende Teilnahme an der Einlagensicherung erforderlich ist, hängt vom Anlageprofil und dem Anlageziel des Kunden ab. Wenn der Anleger bereits umfassend, z. B. über ein Totalverlustrisiko aufgeklärt worden ist, ist eine gesonderte Aufklärung über den fehlenden Schutz durch den Einlagensicherungsfonds nicht mehr erforderlich, weil der Hinweis auf ein Totalverlustrisiko denklogisch bereits die Information eines fehlenden anderweitigen Sicherungsmechanismus beinhaltet.

BGB § 823 Abs. 2 S. 1, § 826;WpHG § 31 Abs. 3 S. 1, Abs. 3a S. 1, Abs. 4 S. 1


Sachverhalt

Die Kläger nehmen die Beklagten zu 1. und 2. als (ehemalige) Vorstände des Wertpapierdienstleistungsunternehmens X-AG wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung auf Schadenersatz in Anspruch.

Die Beklagten (A und B) waren alleinige Vorstände der A & B Wertpapierhandelshaus AG, die zunächst in X-Wertpapierhandelshaus AG und nachfolgend in X-AG (im Folgenden durchgängig: X-AG) umfirmierte. Die Gesellschaft war zunächst eine 100%-ige Tochter der 2005 gegründeten A & B AG, einer Holdinggesellschaft. Ursprünglich waren die Beklagten Alleinaktionäre und alleinige Vorstände dieser Holdinggesellschaft, bis sie im Rahmen eines Börsenganges im Jahre 2006 insgesamt 26,8 % der Anteile abgaben. Die verbleibenden Anteile hielten beide weiterhin hälftig. Im Jahr 2008 veräußerte die A & B AG sodann zwei Prozent der Anteile an der X-AG an einen Dritten. Im Laufe des Jahres 2010 schied der Beklagte B als Vorstand der X-AG aus, über deren Vermögen im September desselben Jahres das Insolvenzverfahren eröffnet wurde.

Geschäftsfelder der X-AG, die bis zu 30 Berater beschäftigte, waren zum einen die Anlageberatung und zum anderen die Vermögensverwaltung. Ihre über 70 000 Kunden, davon zeitweilig über 30 000 gleichzeitig, warb sie insbesondere mit Hilfe eines so genannten ZinsPlusKontos, einem Tagesgeldkonto bei der D-bank AG, welches für beschränkte Zeit einen über dem Marktzins liegenden, von der X-AG gegenüber der D-bank AG subventionierten Zinsertrag bot. Auch die Depotkonten der Kunden wurden von der D-bank AG geführt.

Die Kunden der X-AG zahlten für die in aller Regel telefonische und jeweils vollständig aufgezeichnete Beratung kein Honorar. Nur im Bereich der Vermögensverwaltung erhob die X-AG von den Anlegern eine Gebühr. Erträge erwirtschaftete sie insbesondere durch Provisionen der Emittenten, mit denen regelmäßig Vertriebsvereinbarungen bestanden. Für Käufe und Verkäufe von Wertpapieren über die Börse erhob außerdem die D-bank AG bankübliche Kauf- bzw. Verkaufsprovisionen, von denen sie einen erheblichen Teil an die X-AG weiterleitete.

Die Kurse vieler durch die X-AG vermittelter Wertpapiere, vornehmlich Anleihen und Genussscheine bestimmter kleinerer Unternehmen, brachen ein. Über das Vermögen einzelner Emittenten wurde das Insolvenzverfahren eröffnet. Beginnend etwa Mitte 2009 wurde die X-AG vor diesem Hintergrund durch eine Vielzahl von Anlegern gerichtlich wegen fehlerhafter Anlageberatungen in Anspruch genommen. Insgesamt waren am zuständigen Landgericht I. über 400 Klagen anhängig.

Die Kläger eröffneten Ende 2006 ein verzinsliches Tagesgeldkonto bei der X-AG. Ab Mitte April 2007 fanden verschiedene Beratungsgespräche zwischen dem Kläger zu 1. und dem Berater, Herrn E., statt. Der Inhalt der Gespräche ist im Einzelnen streitig. Nach jeweiliger Beratung zeichneten die Kläger zwölf Kapitalanlagen. Insgesamt wendeten die Kläger für die Anschaffung der Wertpapiere 187 718,71 Euro auf. Durch Veräußerung diverser Wertpapiere am 22.12.2008 erzielten sie einen Verkaufserlös von insgesamt 40 040,79 Euro.

Die Differenz in Höhe von 147 677,92 Euro machen die Kläger als Schadenersatz geltend.

Am 12.5.2007 unterzeichnete die Klägerin zu 2. einen Risikoanalysebogen mit dem sie dem „Anlegertyp 3“ zugeordnet wurde. Als Anlageziel wurde angegeben:

„Meine Ertragserwartungen gehen über das marktübliche Zinsniveau hinaus, die Risikobereitschaft ist gesteigert. …“

Zwischen den Parteien ist streitig, ob der Berater E. über die mit den Anlagen verbundenen Risiken – insbesondere auch das Emittentenrisiko – ausreichend aufgeklärt hat. Die Kläger haben behauptet, die Beklagten hätten in ihrer Eigenschaft als Vorstände der X-AG sowie Mehrheitsgesellschafter der Holding „A & B AG“ die Kundenberater systematisch zu einer fehlerhaften Anlageberatung veranlasst bzw. es in der Folgezeit schuldhaft unterlassen, die erkannte systematische Falschberatung zu korrigieren. Sie hätten eine Schädigung der Anleger billigend in Kauf genommen. Das LG hat die Klage abgewiesen, die Berufung der Kläger hatte keinen Erfolg.

Aus den Gründen

II. … Zutreffend ist das Landgericht davon ausgegangen, dass der gegen die Beklagten gerichtete Schadenersatzanspruch nicht bewiesen ist.

►    Nicht alle Normen des WpHG haben drittschützenden Charakter

1. Anspruch aus § 823 Abs. 2 S. 1 BGB i. V. m. Schutzgesetz §§ 31 ff. WpHG a. F.

Insoweit ist bereits nicht nachvollziehbar dargelegt, ob und inwieweit hier eine Verletzung der §§ 31 ff. WpHG a. F. vorliegt. Weitreichende Änderungen und Erweiterungen des Anlegerschutzes sind erst durch das Finanzmarktrichtlinieumsetzungsgesetz (FRUG) vom 16.7.2007 (BGBl. I 2007, 1330) in das WpHG eingeführt worden. Diese Änderungen sind erst seit dem 1.11.2007 in Kraft getreten und betreffen deshalb jedenfalls nicht die streitgegenständlichen Kapitalanlagen aus dem Jahr 2007 (d. h. die ersten 8 der insgesamt 12 im Tatbestand aufgeführten Anlagen). Zu den von ihr pauschal gerügten Verstößen gegen das WpHG im Hinblick auf die restlichen vier Anlagen verhält sich die Berufungsbegründung nicht.

Überdies haben nicht alle Normen des WpHG drittschützenden Charakter. Zwar bezwecken die §§ 31 ff. WpHG a. F. auch den Anlegerschutz, viele Vorschriften sind jedoch nicht als Schutzgesetze i. S. d. § 823 Abs. 2 BGB anzusehen (BGH vom 22.6.2010, ZIP 2010, 1433 und vom 19.12.2006 – XI ZR 56/09 hinsichtlich der §§ 32, 34 WpHG a. F.). Ein Bedürfnis, auch unmittelbar von den Organen des Wertpapierdienstleistungsunternehmens oder seinen Angestellten Schadenersatz verlangen zu können, ist nicht anzuerkennen, weil für einen effektiven Schutz der Anleger sowohl die Aufsichtsbehörden, die Bußgeldtatbestände des WpHG und die vertraglichen Schadenersatzpflichten des Wertpapierdienstleistungsunternehmens sorgen würden (vgl. Assmann/Schneider-Koller, WpHG, 6. Aufl. vor § 31 RdNr. 7 u. a. m. H. a. Schäfer, WM 2007, 1872, 1875 ff.). Die Frage, ob ein Organ eines Wertpapierdienstleistungsunternehmens unmittelbar aus § 823 Abs. 2 BGB wegen fehlerhafter Beratung etc. in Anspruch genommen werden kann, stellt sich nach den §§ 31 ff. WpHG ohnehin nicht mehr, da sich diese nunmehr ausschließlich an Wertpapierdienstleistungsunternehmen richten (Assmann/Schneider-Koller, a. a. O., m. H. a. Ekkenga in MüKo HGB, Band V, Effektengeschäft, Rz. 288).

►    Keine Haftung der Beklagten nach § 826 BGB wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung

2. Anspruch aus § 826 BGB

Die angefochtene Entscheidung verneint zutreffend einen Schadensersatzanspruch gegen die Beklagten wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung (§ 826 BGB).

Dabei kann mit dem Landgericht dahingestellt bleiben, ob im Falle der Kläger zum Schadensersatz verpflichtende Beratungspflichtverletzungen vorliegen und den Klägern ein Schaden in der behaupteten Höhe erwachsen ist. Die Beklagten haften jedenfalls nicht nach § 826 BGB für unterstellte Beratungsfehler.

Ein Anlageberater, der vorsätzlich eine anleger- und/oder objektwidrige Empfehlung abgibt und die Schädigung des um Rat fragenden Anlegers zumindest billigend in Kauf nimmt, ist dem Anleger wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung zum Schadenersatz verpflichtet (vgl. BGH vom 22.6.1992, WM 1992, 1812, 1823 und vom 13.7.2004, WM 2004, 1768, 1769; KK-WpHG/Möller, § 32 RdNr. 100 m. w. N.). Wird die Empfehlung aufgrund grob fahrlässigen Verhaltens leichtfertig in unrichtiger Weise abgegeben, ist sie dann als sittenwidrig zu werten, wenn sie erkennbar für die Entschließung des Anlegers von Bedeutung ist und in Verfolgung eigener Interessen in dem Bewusstsein einer möglichen Schädigung des Anlegers abgegeben wird (BGH Urteil vom 22.6.1992 – II ZR 178/90, WM 1992, 1812, 1823 m. w. N.). Die pflichtwidrig unterlassene Aufklärung allein genügt nicht, es sei denn, der Berater schweigt trotz Kenntnis der Chancenlosigkeit der Anlage (BGH WM 2010, 2256). Der Vorstand einer Vermittlungsgesellschaft haftet auch dann, wenn er bei riskanten Geschäften die Kunden bewusst über Risiken und verminderte Gewinnchancen ungenügend aufklärt bzw. diese bewusst verharmlost (BGH NJW-RR 2006, 627) und wenn er den Geschäftsabschluss veranlasst und bewusst nicht verhindert hat (BGH NJW 2002, 2777, NJW 2004, 203-206; vgl. Palandt-Sprau, BGB, 72. Aufl., § 826 RdNr. 30 m. w. N.).

Die Berufung erschöpft sich im Wesentlichen in der Wiederholung des erstinstanzlichen Vortrags und in der Behauptung, die über Festgeldanlagen gewonnenen Kunden der X-AG seien unter systematischer und planmäßiger Falschberatung und fehlender Abfrage ihrer Risikobereitschaft in riskante Vermögensanlagen vermittelt worden. Zu Recht ist das Landgericht davon ausgegangen, dass die Kläger nicht bewiesen haben, dass die Beklagten in ihrer Eigenschaft als Vorstände der X-AG vorsätzlich Falschberatungen der Kunden – mithin auch der Kläger – veranlasst und zurechenbar billigend in Kauf genommen hätten. Hinsichtlich der allgemein notwendigen organisatorischen Vorkehrungen zur Sicherstellung einer ordnungsgemäßen Beratung trifft zwar grundsätzlich zunächst die Beklagten eine sekundäre Darlegungslast. Dieser sind sie jedoch umfänglich – teilweise unter Beweisantritt – nachgekommen. Sache der Kläger war es damit, diesen Vortrag zu widerlegen und das Fehlen entsprechender Maßnahmen oder aber ihre Ungeeignetheit zu beweisen. Diesen Nachweis haben die Kläger jedoch nicht zu führen vermocht.

Im Einzelnen:

►    §§ 31 ff. WpHG a. F. setzten zum Zeitpunkt der streitgegenständlichen Beratungen keine schriftliche Risikoaufklärung voraus

a) Übersendung der Emissionsprospekte

Der Ansicht der Kläger, über Struktur und Risiken der von der X-AG vertriebenen Kapitalanlagen (Genussscheine, Anleihen, Schuldverschreibungen, Aktien und Zertifikate) habe wegen der Komplexität grundsätzlich nur schriftlich aufgeklärt werden können, kann nicht gefolgt werden. Eine entsprechende schriftliche Information war zum Zeitpunkt der streitgegenständlichen Beratungen (April 2007 bis Juli 2008) weder nach §§ 31 ff. WpHG a. F. noch nach der Rechtsprechung gefordert. Entsprechende schriftliche Informationspflichten nach § 31 Abs. 3 S. 4, Abs. 3a WpHG n. F. sind erst mit dem Anlegerschutz- und Funktionsverbesserungsgesetz vom 5.4.2011 (BGBl. I 2011, 538) in das Gesetz eingeführt worden.

Die Entscheidung des Landgerichts Düsseldorf vom 29.9.2011 (Az. 8 O 506/10) betrifft einen anderen Sachverhalt. Dort ging es um die Frage der hinreichenden Aufklärung des Kunden durch die Emittentin (EF AG, eine nicht börsennotierte Schweizer Aktiengesellschaft mit Sitz in der Schweiz), die durch angestellte Telefonverkäufer über unselbständige Niederlassungen in Deutschland u. a. eigene Aktien an Privatanleger veräußerte. Es handelte sich mithin um den Verkauf von Papieren einer ausländischen Aktiengesellschaft, für die kein geregelter Handel bestand. Weil die wirtschaftlichen Zusammenhänge einer solchen Gesellschaft schwierig seien und die mit der Anlage verbundenen Risiken für den Anleger weder geläufig noch überschaubar seien und weil darüber hinaus wegen des fehlenden geregelten Handels Manipulationsmöglichkeiten bestanden, hat das LG Düsseldorf unter Berufung auf eine Entscheidung des OLG Düsseldorf vom 11.5.2009 (Az. I-9 U 175/08) eine schriftliche Aufklärungspflicht gefordert.

Hier hingegen hat die X-AG lediglich börsennotierte Wertpapiere (Unternehmensanleihen und Genussscheine) oder aber Hausprodukte (Investmentfonds und Zertifikate) vertrieben. Zudem würde es die Anforderungen an einen telefonischen Vertrieb und die telefonische Order von Vermögensanlagen überspannen, wenn nur eine rechtzeitige Aufklärung des Kunden in Schriftform zulässig wäre.

Im Übrigen ist durch die Beweisaufnahme in dem Parallelprozess LG I. ….. das Gegenteil bewiesen … (wird weiter ausgeführt).

►    Keine Übertragung der „Kick-back“-Rechtsprechung des XI. Zivilsenats des BGH auf freie, bankungebundene Anlageberater

b) Nichtaufklärung über Provisionen

Eine Aufklärung über Existenz, Art und Umfang von Zuwendungen Dritter („Provisionen“) ist erst mit Wirkung zum 1.11.2007 in das Gesetz (§ 31d WpHG) aufgenommen worden (Finanzmarktlinieumsetzungsgesetz FRUG vom 16.7.2007, BGBl. I 2007, 1330). Die hier streitgegenständlichen Anlageberatungen fanden zum größten Teil (8 von 12 Anlagen) hingegen vor in Kraft treten dieser Vorschrift statt. Im Übrigen (d. h. hinsichtlich der streitgegenständlichen Anlagen aus dem Jahr 2008) sind die Kläger rechtzeitig über die Zahlung von Provisionen und Rückvergütungen am 23.11.2007 mit dem Merkblatt „Allgemeine Informationen für Kunden über Zuwendungen“ aufgeklärt worden.

Über die Höhe von Innenprovisionen ist nur aufzuklären, wenn die Innenprovision einen gewissen Schwellenwert erreicht, der mehr als 15 % der Beteiligungssumme ausmacht (BGH vom 12.2.2004 – III ZR 359/02, WM 2004, 631, 635). Das ist hier nicht der Fall. Die Kläger behaupten insoweit nicht einmal, dass die X-AG Provisionen in aufklärungspflichtiger Höhe erhalten habe.

Die „Kick-back“-Rechtsprechung des für die Bankenhaftung zuständigen XI. Zivilsenats des BGH ist auf freie, bankungebundene Anlageberater – zu denen auch die X-AG gehörte – nicht zu übertragen (BGH Beschluss vom 9.3.2011, WM 2011, 925 ff.; Schlick, Die aktuelle Rechtsprechung des III. Zivilsenats des BGH zum Kapitalanlagerecht, WM 2011, 154, 158). Den bankungebundenen, freien Berater trifft keine (ungefragte) Aufklärungspflicht über Provisionen, da der Anleger bei solchen Beratungen – anders als bei Banken – von einer durch den Produktanbieter „eingepreisten“ Vergütung ausgehen und er deshalb deren Höhe erfragen muss, wenn sie ihn interessiert (BGH, Urteil vom 15.4.2010 – III ZR 196/09, BGHZ 185, 185 RdNr. 13).

Die Aufklärung über Provisionen genügte im Übrigen auch den aufsichtsrechtlichen Anforderungen des WpHG a.F.. Zum Zeitpunkt der streitgegenständlichen Anlageberatung bis einschließlich August 2007 enthielten die Allgemeinen Geschäftsbedingungen folgenden allgemeinen Hinweis:

„... WPH ist berechtigt, von anderen Unternehmen anteilige Zahlungen, von den durch das Unternehmen an den Kunden in Rechnung gestellten Kosten, in Empfang zu nehmen, sowie Geldzahlungen und andere geldwerte Vorteile in Empfang zu nehmen, die im wirtschaftlichen Zusammenhang mit Kundengeschäften stehen. WPH wird dem Kunden auf dessen Wunsch Auskunft über die entsprechenden Zahlungen anderer Unternehmen erteilen, sofern der Kunde diese Produkte und Dienstleistungen nutzt.“

Im Zusammenhang mit der Novellierung des WpHG durch das FRUG vom 16.7.2007 (BGBl. I 2007, 1330) zum 1.11.2007 wurden – wie dem Senat aus vielen anderen Verfahren bekannt ist – den Bestandskunden der X-AG im Herbst 2007 umfassende Informationen über Zuwendungen in Form einer Rahmenvereinbarung übersandt. Das war hier auch mit der Rahmenvereinbarung vom 23.11.2007 der Fall. Außerdem wurde das Amt eines Zuwendungsbeauftragten eingeführt (in Person des Zeugen P.), der den Kunden auf Nachfrage zu konkreten Zuwendungen Auskunft geben sollte.

Im Übrigen verkennen die Kläger auch den Umfang der Aufklärung über Zuwendungen nach neuem Recht. Gemäß § 31 d Abs. 1 Nr. 2 WpHG n. F. müssen zwar „Existenz, Art und Umfang der Zuwendung … in umfassender, zutreffender und verständlicher Weise deutlich offengelegt“ werden, die Regelung in § 31 d Abs. 3 WpHG n. F. erlaubt dem Wertpapierdienstleistungsunternehmen jedoch, dem Kunden lediglich eine Zusammenfassung der wesentlichen Bestandteile der Zuwendungsvereinbarungen vorzulegen, wenn zugleich die Offenlegung weiterer Einzelheiten angeboten und gewährt wird. Es reicht deshalb aus, den Kunden in allgemeiner Art die Quellen der Zuwendungen zu nennen und deren Höhe in einer gewissen Bandbreite mitzuteilen (vgl. Hartmann/Schneider-Koller, WpHG, 6. Aufl., § 31 d RdNr. 48 m. w. N.).

Wollte man im Übrigen strengere Anforderungen an die Offenlegung von Zuwendungen Dritter an Wertpapierdienstleistungsunternehmen stellen, wäre die Pflichtverletzung jedenfalls nicht vorsätzlich im Sinne von § 826 BGB … (wird weiter ausgeführt). …

►    Voraussetzungen der Annahme eines Vorsatzes im Sinne von § 826 BGB

3. Vorsatz

Zum Vorsatz im Sinne von § 826 BGB gehört, dass der Schädiger spätestens im Zeitpunkt des Schadenseintritts die Art und Richtung des Schadens und die Schadensfolgen vorausgesehen (kognitives Element) und die Schädigung im Sinne eines direkten Vorsatzes gewollt oder im Sinne eines bedingten Vorsatzes jedenfalls billigend in Kauf genommen hat (voluntatives Element; vgl. BGH NJW 2004, 446 und 2664; Palandt-Sprau, § 826 RdNr. 11 m. w. N.). Aus der Art und Weise in der sich das sittenwidrige Verhalten kundtut, lässt sich häufig folgern, dass der Täter bezüglich der Schädigung vorsätzlich gehandelt hat (BGH WM 95, 882/895). Diesen Beweis haben die Kläger nicht geführt.

Zu Recht hat das Landgericht insoweit ausgeführt, dass das Telefonaufzeichnungssystem, das den vollständigen Wortlaut der Beratungsgespräche aufgezeichnet hat, das eingerichtete Monitoring- und Kontrollsystem (Zeuge W.) sowie die Tatsache, dass die Beklagten als Mehrheitsgesellschafter der Holding (A & B AG) bis zum Schluss auch wesentlich am unternehmerischen Risiko der X-AG beteiligt waren, gegen die Annahme eines bedingten Vorsatzes sprechen. …

Die Berufung ist deshalb unbegründet.

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