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ZLR 2000, 799
Mettke 

Verlassen von Gott und allen guten Geistern!

Anmerkungen zum Rinderwahnsinn

Rechtsanwalt Thomas Mettke, München

„Nicht die Wissenschaft für sich, sondern der Mensch in ihr ist in einer Krise.“ Will man BSE und künftiger Krisenherde Herr werden, müssen diesen Worten von Karl Jaspers auch Taten folgen. Die BSE-Krise ist ein Menetekel kollektiver Verantwortungslosigkeit – noch am 10. November 2000 hatte Bundesgesundheitsministerin Andrea Fischer Importverbote gegen EU-Staaten angedroht, die Rindfleisch nicht vorschriftsmäßig kennzeichnen würden. Nicht unerwartet sitzt Deutschland nun zusammen mit vielen anderen Mitgliedstaaten im Keller; weiterer Importverbote bedarf es nicht, man hat sich gegenseitig paralysiert. Für einen außenstehenden Betrachter ist die BSE-Entwicklung schon seit spätestens 1994 ein reiner Alptraum.

Mit der Entscheidung der Kommission vom 27. Juli 1994 über Schutzmaßnahmen gegen die spongiforme Rinderenzephalopathie wurde der Import von lebenden Rindern aus dem Vereinigten Königreich verboten sowie von Erzeugnisse, die Gehirn, Rückenmark, Thymusdrüse, Mandeln, Milz und Gedärme enthalten. Mit anderen Worten: Für in Deutschland geborene Rinder galt ein solches Verwertungsverbot dieser nicht unbedingt für den menschlichen Verzehr geeigneten Gewebe und Gefäße nicht. Aber damit nicht genug. In die Tiermehle gelangten nicht nur die sogenannten Risikomaterialien von Rindern und Kälbern, sondern allgemein auch Tiere, die in Tierkörperbeseitigungsanstalten und dann im Tiermehl ihre vorläufig letzte Ruhestätte fanden, wie Schafe, Hunde und Katzen, aber auch exotische „Mitgeschöpfe“ wie sie das Tierschutzgesetz nennt, z.B. Antilopen, Affen und Ratten. Zwar konnte man inzwischen nachweisen, daß auch Katzen sich mit BSE infizieren; ein Verbot derartiger Tiermehle hielt man dennoch bisher für entbehrlich. In wissenschaftlicher Hinsicht nämlich zählt allein die im Tierkörperbeseitigungsgesetz festgelegte Bestimmung, wonach Tierkörpermehle bei mindestens 133 °C für zwanzig Minuten unter Dampfüberdruck erhitzt werden müssen (autoklavieren). Diese Erhitzungsbedingungen gelten als sicher, den BSE-Erreger ausreichend zu inaktivieren. So geht das Lamento in Deutschland immer noch darum, daß Engländer und Franzosen – wie man natürlich nicht anders erwarten konnte – die deutschen Sicherheitsvorschriften sträflich vernachlässigt haben. Soweit die Wissenschaft, über die das Weißbuch der Kommission zur Lebensmittelsicherheit sagt: „Die Risikobewertung hängt von der Verfügbarkeit präziser aktueller wissenschaftlicher Daten ab.“

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Ein französisches Sprichwort lautet: „Wissenschaft ist für die, die lernen, Poesie für die, die wissen.“ Aber nicht um Poesie geht es hier, sondern um selbstverständliche Überlieferungen von Sitte und Moral, die im Laufe eines entfesselten wissenschaftlichen und technologischen Machbarkeitswahns im Begriff sind, über Bord zu gehen – kein günstiges Zeichen für die herrschende Leitkultur im christlichen Abendland.

Zu den absoluten Selbstverständlichkeiten in allen traditionellen Gesellschaften gehört das Verbot der Verwertung von Aas, Verendetem, Ersticktem und Krepiertem; das sind Tiere, die tot aufgefunden wurden oder deren Todesart man nicht kannte. Der heilige Thomas von Aquin sagt dazu, daß der Genuß dieser Speisen aus natürlicher Abscheu heraus verboten ist. Grundsätzlich gehen alle Speisegesetze davon aus, daß für den Menschen als Nahrung nur das zugelassen ist, was er selbst oder mittelbar durch seine Jagdtiere getötet hat. Nach der Thora ist alles Aas von Tieren verboten, die an sich rein wären, die aber nicht des Essens wegen vorschriftsmäßig geschlachtet, sondern irgendwie umgekommen sind oder durch Krankheit dem Tode nahe sind. Wiederholt verbietet auch der Koran den Genuß von krepierten Tieren, d.h. das Fleisch von Vieh und Geflügel, die eines natürlichen Todes gestorben sind, ohne vom Menschen geschlachtet oder erjagt worden zu sein. Für dieses Verbot werden im islamischen Recht folgende Gründe angeführt: Fleisch eines krepierten Tieres zu essen widerstrebt dem zivilisierten Geschmack und gilt bei allen denkenden Menschen in allen Gesellschaften als im Gegensatz zur Menschenwürde stehend. Alle Völker haben dies verboten und essen nur Fleisch von Tieren, die geschlachtet wurden. Wenn das Tier eines natürlichen Todes gestorben ist, hatte es vermutlich eine akute oder chronische Krankheit oder fraß eine giftige Pflanze usw., so daß es schädlich wäre, sein Fleisch zu verzehren. Das gilt auch, wenn die Todesursache hohes Alter oder Verhungern war. Was für das Fleisch gilt, gilt auch für die Futtermittel. Anders wird dies offenbar in unserer „zivilisierten“ Gesellschaft gesehen.

Am 19. Juli 1993 beantwortete die Kommission im Europäischen Parlament eine Anfrage über die Gefahr des Eindringens in die Nahrungskette von Erzeugnissen, die Futtermitteln beigemengt werden und die schwammartige Enzephalopathie auslösen, u.a. wie folgt: Die spongiforme Enzephalopathie von Tieren sei seit über 250 Jahren bekannt. Die bovine spongiforme Enzephalopathie (BSE), die erstmals 1986 diagnostiziert wurde, sei in vielen Ländern, dem Vereinigten Königreich, Frankreich, Irland, Dänemark, der Schweiz, Oman und den Falkland Inseln gemeldet worden. Alle derzeitigen Erkenntnisse weisen daraufhin, daß Scrapie nicht auf den Menschen übertragbar sei und daß das Risiko, das von BSE ausgeht, gering einzuschätzen sei. Jüngste Erkenntnisse ließen vermuten, daß die bisherigen Gemeinschaftsvorschriften, bei denen man sich an Scrapie ausgerichtet hatte, zu weit gehen, da von BSE ausschließlich das zentrale Nervensystem befallen wird, wohin gegen bei Scrapie auch die Milz, die Thymusdrüse und andere Gewebe des Lymphsystems infiziert wer¬ ZLR 2000 S. 799 (801) den – soweit die Überlegungen der Kommission zur Risikovorsorge und dem vorbeugenden Gesundheitsschutz.

Nach der vorschriftsmäßigen jüdischen Fleischbeschau, der Bedika, werden alle Erscheinungen, die darauf hinweisen, daß ein Tier möglicherweise nicht gesund war, alles Verdächtige also, untersucht. Wird ein Teil des Tieres für untauglich erklärt, wird das Fleisch nicht mehr für die menschliche Ernährung zugelassen. Eine halbe Untauglichkeit gibt es nicht. In der Darstellung der Kabbala von A. Franck von 1844 heißt es: „Allein wir wollen die Bemerkung hervorheben, daß, indem die Juden in Beziehung auf ihre Nahrung einer Menge religiöser Vorschriften sich unterwarfen, und aus Furcht, die von dem Gesetz für unrein erklärten Tiere zu essen, die mannigfachen Beschaffenheiten und die verschiedenen Konstitutionen derselben beobachten mußten, sie auch frühzeitig durch die mächtigste Kraft zum Studium der Anatomie und der Naturgeschichte angeregt wurden. So wird im Talmud das Gelöchertsein der Hirnhäute unter den Fehlern aufgezählt, welche an den Tieren haften, und das Essen ihres Fleisches gesetzlich verboten. In demselben Traktat wird auch von dem Rückenmark und den ihm eigentümlichen Krankheiten gesprochen“.

Viele dieser Überlieferungen sind vertan und vergessen worden; es ist Zeit, wieder daran anzuknüpfen. Nun rufen alle nach neuen Gesetzen, Verordnungen und Kontrollen; es wird nichts nutzen. Es gibt Dinge, die selbstverständlich sind und die man eben nicht tut. Dafür bedarf es keiner Verbote, egal ob sie wissenschaftlich begründet werden können oder nicht. Wissenschaft ist notwendig, aber sie ist kein Ersatz für Verantwortung.

 
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