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ZLR 2002, 411
Mettke 

In Wahlkampfzeiten

Rechtsanwalt Thomas Mettke, München

Es war im Wahlkampf des Jahres 1980. In Kindernahrungen wollte man in einem Untersuchungsamt in Nordrhein-Westfalen mit einem sensationell neuen Verfahren, dem Radio-Immunassey-Verfahren (RIA), verbotene Hormone gefunden haben. Die Ergebnisse allerdings waren fragwürdig, sie konnten nur in Größenordnungen von Milliardstelgramm gemutmaßt werden. Davon unbeeindruckt meldete das Ministerium den Medien, daß man Dank der Initiative des Ministers einem Hormonskandal auf die Spur gekommen sei. Auf die Ungereimtheiten angesprochen, antwortete der Minister mit dem klassischen Satz:

„Im Verbraucherschutz lasse ich mich von niemandem übertreffen, auch nicht vom Gesetz.“

Es ist wieder soweit. In einem als „Giftlager“ bezeichneten Getreidespeicher in der Nähe des schönen Kurortes Malchin (Mark Brandenburg) hat man ein nicht zugelassenes Pflanzenschutzmittel Nitrofen gefunden. Nunmehr ist in Deutschland geradezu ein Wettbewerb entbrannt, den allgemeinen europäischen Grenzwert von 0,01 mg/kg im Namen des Verbraucherschutzes zu unterbieten. Daß dieser Grenzwert die Verbrauchererwartung verbindlich definiert, spielt dabei keine Rolle.

Nach einem neu verkündeten „Bayerischen Landrecht“ soll dieser Grenzwert nicht für Bio-Lebensmittel gelten. Für Bio-Lebensmittel wird damit ein absolutes Reinheitsgebot beansprucht – die Landwirte werden es der Bayerischen Staatsregierung danken, Bio zum Kultobjekt erhoben zu haben. Produzieren kann man solche Lebensmittel allerdings nicht. So anspruchsvoll will Niedersachsen nicht sein. Nach einer ebenfalls neu ersonnenen „Niedersächsischen Flurordnung“ wurde der gesetzliche Grenzwert von 10 ppb lediglich auf 5 ppb abgesenkt. Allerdings müssen Produkte, die diesen Wert überschreiten könnten, mit der Angabe „geringer Nitrofengehalt nicht ausschließbar“ versehen werden. Da kann die Bundesregierung nicht abseits stehen. So hat man den europaweit geltenden Vorsorgewert von 10 ppb für Säuglings- und Kleinkindernahrungen auf 5 ppb ermäßigt. Zwar haben die Hersteller dieser Produkte in den letzten 20 Jahren bei ihren regelmäßigen Kontrollen keinen einzigen Fall von Nitrofen festgestellt – aber das macht nichts. Im Zweifel muß man eben im Wege der Eilverordnung eine Gefahr heraufbeschwören, die es nicht gibt.

Man muß sich langsam fragen, ob auf dem Gebiet des Verbraucherschutzes der Staat

‚Bundesrepublik‘ überhaupt real ist oder ob dieser nur ein Phänomen ist; in Wahrheit ZLR 2002 S. 411 (412)besteht dieser Staat nämlich aus einer Ansammlung unberechenbarer teutonischer Territorien. Schon Tacitus hat gesagt:

„In Germanien gibt es Sitten, anderswo aber Gesetze.“

Leider sind die Sitten von Dorf zu Dorf verschieden; in der globalen Welt ist damit kein Staat zu machen.

Nitrofen ist nur ein Beispiel. Die Kosten für die Vernichtung von Lebensmitteln, die bei vernünftiger Anwendung der Gesetze durchaus verkehrsfähig wären, steigen ins uferlose. Unternehmen und landwirtschaftliche Betriebe werden den modernen Götzen „Populismus“ und „Bürokratismus“ leichtfertig geopfert; Vorrang hat der mediale Auftritt der Politiker. Es ist Wahlkampfzeit. Man sollte sich einer alten Bauernweisheit aus dem Schwabenspiegel erinnern:

„Wir sollen den Herren darum dienen, daß sie uns beschirmen. Beschirmen sie uns nicht, so sind wir ihnen von Rechts wegen keine Dienste mehr schuldig.“

Um kein einseitiges Bild zu vermitteln: Natürlich gibt es Kriminalität auch im Lebensmittelbereich und Futtermittelbereich. Die Lieferungen hormonbelasteter Schlachtschweine und Glucosesirup haben dies gerade gezeigt – aber hierbei zeigt sich das ganze Dilemma. Zwischen rein wissenschaftlich abstrakten Risiken, wie Acrylamid in Lebensmitteln oder dem natürlichen Inhaltsstoff Estragol im Fencheltee und kriminellen Verfälschungen durch pharmazeutische Abfälle in Futtermitteln finden in der öffentlichen Wahrnehmung kaum Differenzierungen statt.

Auch die Kleinstaaterei ist nahezu ein Freibrief für Verbrecher. Ein vorausgreifender Kriminalschutz, der beizeiten mafiose Strukturen aufdeckt, ist mit den zersplitterten Zuständigkeiten im Lebensmittelbereich nicht erreichbar. Zumindest die Verfolgung grenzüberschreitender Lebensmittelskandale gehört in die Zuständigkeit des Bundes.

Hoffnungen und Erwartungen knüpfen sich an das neue Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit. Das Amt verdient die Unterstützung aller, damit man auch beim Verbraucherschutz sagen kann (vgl. Art. 20 Abs. 3 GG):

„Die vollziehende Gewalt ist an Gesetz und Recht gebunden.“

 
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