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ZLR 2006, 119
Hufen 

„Gute“ und „schlechte“ Lebensmittel? – Vorurteile und Fakten.

Ernährungsverhalten – Sicherheit – Risikobewertung

Prof. Dr. Friedhelm Hufen

Um 200 vor Christus lebte in Babylon der Philosoph und Religionsgründer Mani. Der Kern seiner Lehre bestand darin, daß er die Welt in Gut und Böse, Licht und Schatten, die Menschen in Auserwählte und Verworfene teilte. Die von ihm gegründete Religionsgemeinschaft der Manichäer ging zwar schon im 4. Jahrhundert nach Christus unter. Seine Philosophie aber behielt ihre Bedeutung und entfaltete geradezu ungeheure Wirksamkeit bis in die Gegenwart. Das ist nicht verwunderlich: Bedient der Manichäismus doch das anscheinend untilgbare Grundbedürfnis des Menschen nach Klarheit und Einfachheit der Erklärungen und Orientierungen.

Was das mit dem Thema des 19. Deutschen Lebensmittelrechtstages zu tun hat?

Sehr einfach: Wo könnte das Bedürfnis nach klarer Erkenntnis von „Gut“ und „Böse“, von „Richtig“ und „Falsch“ mehr gelten als beim höchsten Gut des Menschen – der Gesundheit? Wo ist das Bestreben danach, auf der richtigen Seite zu stehen, mehr verbreitet als bei der Ernährung?

Auf klare und eindeutige Botschaften von „richtig“ und „falsch“ ist bis heute auch die Politik angewiesen. So wird die lebensmittelrechtliche und verbraucherpolitische Diskussion in Deutschland und Europa immer mehr von Versuchen beherrscht, „gute“ und „schlechte“, „natürliche“ und „künstliche“ Lebensmittel zu unterscheiden und die Verbraucher in Richtung auf bestimmte Lebensmittel und Ernährungsweisen zu beeinflussen. Weit über die Themen „health-claims“ und „überernährte Kinder“ hinaus stehen traditionsreiche Grundnahrungsmittel, die Anreicherung mit Vitaminen und Zusatzstoffen und „künstliche“ Lebensmittel auf den wirklichen und imaginären „schwarzen Listen“ von Ministerien und Medien. Verbote werden gefordert, es wird aufgeklärt, beraten, empfohlen, bevor die faktischen und rechtlichen Voraussetzungen solcher Mittel und Maßnahmen geklärt sind.

In Deutschland ist zusätzlich noch auf zwei Akzente hinzuweisen: Die spätestens seit der Romantik verbreitete Sehnsucht nach unverfälschter Natur einerseits und das im absolutistischen Wohlfahrtsstaat verankerte Vertrauen in „Vater Staat“ andererseits, der sich um Grundbedürfnisse seiner Bürger zu kümmern hat, statt diese in Freiheit und Selbstverantwortung Glück und Wohlergehen finden zu lassen. Die Gleichsetzungen von „Natur“ mit „gut“ und für den Menschen förderlich und von „Künstlichkeit“ mit „schlecht“ und für den Menschen abträglich waren schon mehrfach Thema ZLR 2006 S. 119 (120)des Lebensmittelrechtstages. Die paternalistische Sicht des Staates freilich ist wohl – im Kontext westlicher Verfassungsstaaten nirgends sonst auch nur übersetzbar – einmalig. Meine amerikanischen und französischen Kollegen etwa fänden die Vorstellung von „Father State“ oder „Père Étât“ allenfalls belustigend. Leben sie doch seit der Aufklärung in der Vorstellung, daß es dem Einzelnen am besten geht, wenn sich der Staat in seine Freiheit möglichst nur einzumischen hat, wenn andernfalls konkrete Gefahren drohen. Die Vorstellung, daß der Staat und staatlicher Verbraucherschutz den Bürger nicht nur vor Gefahren zu bewahren, sondern ihn auch vor jeglichen Risiken tunlichst zu sichern, ihn umfassen zu informieren, über nützliches und schädliches Verhalten zu belehren, zu gesundheitskonformen Verhalten zu erziehen habe, schien noch bis vor kurzem antiquiert, erfährt aber gegenwärtig wieder Verbreitung und Vertiefung. Verbreitung im Hinblick auf manche Tendenzen in der europäischen Verbraucherpolitik, die das Leitbild des „mündigen Verbrauchers“ gelegentlich nur noch als Reminiszenz erscheinen lassen. Vertiefung im Hinblick auf eine Politik, die längst Ernährung und Lebensmittel als Gegenstand vorsorgender Gesundheitspolitik entdeckt hat.

Spätestens damit sind wir beim Thema des 19. Lebensmittelrechtstages. Bezugspunkte sind Vorurteile und Fakten zum Ernährungsverhalten und dessen Beeinflußbarkeit aus empirischer und aus juristischer Sicht. Gefragt wird sodann, ob und inwieweit die neue Diskussion etwas mit der Sicherheit der Lebensmittel zu tun hat und ob das ganze Instrumentarium staatlicher Einflußnahme auf das Ernährungsverhalten von der Verbraucherinformation bis zum Verbot mit solchen Zusammenhängen gerechtfertig werden kann. Das wird aus der Sicht der betrieblichen Praxis und der EU-Kommission untersucht. Testfall ist das Thema „Designer-Lebensmittel“. Risikoermittlung und Risikobewertung sind ein Dauerthema des Lebensmittelrechts. Hier soll der Schwerpunkt auf der tatsächlichen und rechtlichen Relevanz der Spurensuche und der Grenzwerte im Zuge verfeinerter Meßmethoden einerseits, alter und neuer Verbraucherängste andererseits liegen.

Es entspricht einer schönen Tradition, daß die Referate des Deutschen Lebensmittelrechtstages in den jeweils nachfolgenden Heften der ZLR veröffentlicht werden. So können auch diejenigen die in diesem Jahr besonders lebhafte und intensive Diskussion verfolgen, die in diesem Jahr nicht dabei sein konnten. Für die Teilnehmer aber sollen sie dazu dienen, die Ernte zweier vielseitiger und tiefgründiger Tage der Information und des Gesprächs lebendig zu erhalten.

 
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