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ZLR 2009, 527
Wallau 

Ein Schelm, der …-

Zur Debatte über „Lebensmittel-Imitate“

Nach der morgendlichen Zeitungslektüre hält man es zumeist mit Shakespeares Horatio und sagt sich „So I’ve heard and for the most part I believe it“1. Welche weitreichenden Folgen das wiederum haben kann, zeigt die Debatte um „Lebensmittel-Imitate“: Im Rahmen einer der Radio-Shows, die während der letzten Zeit aus diesem Anlass auf den Programmzettel gebracht worden waren, schaltete die Redaktion eine Zuhörerin zu den Diskutanten, die intensiv über das Thema „Imitate“ gestritten hatten. Die bereits betagte Dame formulierte unter dem Eindruck der Diskussion: „Was kann ich denn überhaupt noch kaufen?“

Es erscheint aussichtsreich, zum besseren Verständnis der Mechanismen dieser medial getriebenen Debatte in einem ersten Schritt auf das Selbstverständnis von Medien-Machern zurückzugreifen: Im „Statut“ eines bekannten Nachrichtenmagazins heißt es, dass „alle (dort) verarbeiteten Nachrichten unbedingt zutreffen (müssen)“.2 Womit offenbar nicht gemeint ist, dass die verarbeiteten Nachrichten „wahr“ sein müssten – gemeint ist damit lediglich deren (juristische) „Unanfechtbarkeit“. Ein Theoretiker der Medien hat diesen Gedanken generalisiert: „Ich glaube nicht, dass Wahrheit das zentrale Moment der Medien sein kann. (…) Selbstverständlich denke ich, dass die Selbstbeschreibung der Presse und des Fernsehens auf irgendwelche Qualitäten wertlegt. Und natürlich findet dort auf der Zweitebene eine Kontrolle statt. Etwa im Hinblick darauf, ob der Artikel oder der Fernsehbeitrag gut recherchiert ist.“3

Qualitative Anforderungen an journalistisches Handwerk sind etwas anderes als rechtsstaatliche Ansprüche an hoheitliche Informationsakte – Behörden dürfen freilich bei ihren Äußerungen ohne eine gewisse mediale Folgenbetrachtung nicht agieren. Ganz in diesem Sinne hat sich das Oberlandesgericht Stuttgart zur Frage nach dem Auslegungshorizont für staatlich generierte und medial transportierte Informationen geäußert: „Erteilt eine Behörde eine Auskunft – und dazu rechnet auch eine Pressemitteilung –, kommt es nicht auf den reinen Wortlaut der Auskunft an, sondern auf den Eindruck, den eine solche zur Veröffentlichung in der Presse bestimmte Auskunft bei den Kreisen hervorruft, an welche sich die Presse wendet.“4

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Behördliche Äußerungen haben also auch die Art und Weise einer sich anschließenden medialen Berichterstattung in Rechnung zu stellen. Prima vista drängt sich die Frage auf, was im Fall einer zwar privatrechtlich organisierten, allerdings in erheblichem Umfang staatlich finanzierten und öffentliche Glaubwürdigkeit in Anspruch nehmenden Institution des Verbraucherschutzes gilt, wenn diese eine „Imitate-Liste“ ins Netz stellt und in der anschließenden Medienberichterstattung von „Trickserei“ und „Täuschung“ die Rede ist, von „Plagiaten“ und „Lug und Betrug“, von jetzt erfolgter „Aufdeckung“ und „Enttarnung“ und von der Notwendigkeit, zukünftig „hart durchzugreifen“.

Zugunsten einer staatlich errichteten Institution privaten Rechts im Bereich des Verbraucherschutzes, der Stiftung Warentest, hat der Bundesgerichtshof bekanntlich stets auch das Grundrecht der Meinungsäußerung bemüht: „Ist die Untersuchung neutral, sachkundig und objektiv – letzteres im Sinne des Bemühens um objektive Richtigkeit–vorgenommen worden, so steht nichts entgegen, soweit es um die Angemessenheit der Prüfungsmethoden, die Auswahl der Objekte und schließlich die Darstellung der Untersuchungsergebnisse geht, einen erheblichen Ermessensfreiraum zuzulassen.“5 Im Hinblick auf die Äußerungs-Grundlagen also die Etablierung eines prozeduralen Anforderungsprofils, das dem Prüfungsprogramm für hoheitliche Äußerungen gar nicht so unähnlich ist: Hier sind es bekanntlich notwendige verfahrensmäßige Absicherungen z.B. durch die Pflicht zur Sachverhaltsermittlung, zur grundsätzlichen Anhörung, zur Verhältnismäßigkeit usw., dort ist es das Kriterium einer „neutralen, sachkundigen und objektiven Untersuchung“.

Der Bundesgerichtshof hatte seinerzeit über die Zulässigkeit einer wertenden Kritik auf der Grundlage wissenschaftlich vertretbarer Prüfungsmethoden und -kriterien zu urteilen – Ausgangspunkt der pressewirksam-negativen Bezeichnung als „Imitat“ war demgegenüber etwas anderes: Bei den angeprangerten Lebensmitteln wurden–so die originale Formulierung auf der im Internet veröffentlichten „Imitate-Liste“ – bestimmte wertgebende Inhaltsstoffe „vermisst“.

Doch damit nicht genug, dass offenbar eine „gefühlte Täuschung“ der Ausgangspunkt dieser Debatte war. Wer bei den gelisteten Produkten auch ansonsten aufmerksam hingesehen hat, dürfte sich nicht nur einmal gewundert und die Augen gerieben haben. Denn einige dieser Produkte waren bereits seit einiger Zeit gar nicht mehr auf dem Markt erhältlich. Und die übrigen namentlich erwähnten „Imitat-Produkte“? Die meisten der diskreditierten Lebensmittel waren und sind legal produziert und nach Recht und Gesetz und entsprechend den Leitsätzen des Deutschen Lebensmittelbuches gekennzeichnet.

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Die „Imitate-Liste“ teilt–trotz aller Unterschiede–mit ihrer behördlichen Schwester, der Pankower „Negativ-Liste“, eines: den Gedanken der Substitution. Mit der Veröffentlichung von Internet-Listen tritt eine mehr oder weniger freihändig funktionierende „Subkultur der Quasi-Überwachung“6 an die Stelle des rechtsstaatlich-kontrollierbaren Vollzuges von Gesetzen. Gerichte werden sich wahrscheinlich nicht häufig mit der drängenden Frage einer Etablierung von Sorgfaltsstandards in diesem Bereich zu befassen haben: Es ist der Witz einer jeden öffentlichen Diskreditierung, dass sie den davon Betroffenen regelmäßig wenig geneigt macht, hiergegen den Weg der Öffentlichkeit eines Prozesses zu beschreiten. Dieser neuen Form der „Überwachung“ kann man also zumindest in dieser Hinsicht eine gewisse Effektivität nicht absprechen – Honi soit qui mal y pense7.

Rechtsanwalt Rochus Wallau, Bonn

1

Shakespeare, Hamlet I, 1.

2

Zitiert nach Hans Magnus Enzensberger, Einzelheiten I, 1964.

3

„Wahrheit ist nicht zentral“ – Niklas Luhmann im Gespräch mit Dirk Knipphals und Christian Schlüter in: Was tun, Herr Luhmann?, hg. v. Wolfgang Hagen, 2009.

4

OLG Stuttgart NJW 1990, 2694.

5

BGH NJW 1987, 2222.

6

Begriff in Anlehnung an einen von Rabe (Schriftenreihe BLL, Heft 80, S. 57) geprägten Terminus.

7

Altfranzösische Devise: „Ein Schelm, der Böses dabei denkt“.

 
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