Mehr Mut zur Gelassenheit
Zur Diskussion über vertikale Wettbewerbsbeschränkungen
Die Preisbindung der zweiten Hand ist verboten. Dies sollte Industrieunternehmen, die ihre Produkte über Absatzmittler vertreiben, ebenso bekannt sein wie den Unternehmen des Handels, deren Schutz die Vorschrift auch dient. Bis zur 7. GWB-Novelle 2005 stand das in Deutschland sogar ausdrücklich im Gesetz. Dann erfolgte eine Angleichung an die europäischen Regeln. Das Gemeinschaftsrecht unterscheidet seit jeher nicht zwischen horizontalen und vertikalen Wettbewerbsbeschränkungen. Jede Form der Beschränkung des Wettbewerbs zwischen Unternehmen, ganz gleich, auf welcher Marktstufe sie stehen, unterliegt deshalb heute dem Kartellverbot. Ausnahmen sind in Gruppenfreistellungsverordnungen geregelt, darunter die „Vertikal-GVO“, die etliche Vertriebsbeschränkungen vom Kartellverbot freistellt.
Sollte diese Rechtslage bei einigen Unternehmen in Vergessenheit geraten sein, so sind sie spätestens seit Januar 2010 mit der groß angelegten Durchsuchung des Bundeskartellamts bei Handel und Industrie daran erinnert worden. Dabei kam auch diese Durchsuchung des Bundeskartellamts nicht ganz überraschend. Mit dem Verfahren gegen die Hersteller von Kontaktlinsen hatte sich das Bundeskartellamt bereits 2009 sukzessive auf das Thema Preisbindung „eingeschossen“.
Trotzdem beklagen die Unternehmen seit der Durchsuchungsaktion eine erhebliche Verunsicherung. Handel und Industrie sind sich in diesem Punkt erstaunlich einig. Sie fordern mehr Handlungsspielraum und gleichzeitig mehr Rechtssicherheit. Ob sich dies überhaupt unter einen Hut bringen lässt, ist fraglich. Das Bundeskartellamt hat mit einem Schreiben vom 13. April 2010, das passend zum Thema „Preisbindung der zweiten Hand“ als „Handreichung“ bezeichnet wird, den Versuch unternommen, mehr Klarheit zu schaffen.
Geglückt ist dieser Versuch nicht, aber vielleicht waren die Erwartungen ja auch zu hoch. Die Handreichung bietet keinen Prüfungskatalog für bestimmte Klauseln in Vertriebsvereinbarungen und sie erlaubt es auch nicht, die Jahresgespräche zwischen Handel und Industrie exakt an kartellamtlichen Vorgaben auszurichten. Dazu enthält sie zu viele „Weichmacher“ und verweist konsequent auf die notwendige Prüfung im Einzelfall. Eine konkrete Rechtsberatung kann und will das Amt aber auch gar nicht leisten.
Eines wird aber sowohl durch die „Handreichung“ als auch durch die vielfältigen Äußerungen seitens des Bundeskartellamts bei Konferenzen und Veranstaltungen zu diesem Thema deutlich: Natürlich muss der kleine Händler nicht befürchten, in das Visier der Kartellwächter zu geraten, wenn er mit einem Lieferanten eine Meistbegünstigungsklausel vereinbart. Das Problem ist nur, dass er als kleiner Händler solche „Goodies“ von seinem Lieferanten ohnehin nicht bekommt. Auch der mittelständische Markenartikler wird keine ernsthaften Befürchtungen hegen müssen, wenn er sehr deutlich auf seine unverbindliche Preisempfehlung hinweist. Selbstverständlich darf ein Hersteller seine Preisempfehlung erläutern und dem Händler damit die Kalkulation erleichtern. Diese Erläuterung kann auch in einem zweiten Gespräch, nach der Übermittlung der Preisempfehlung, erfolgen. Auf die Anzahl der Gespräche kann es nicht ankommen, entscheidend ist der Inhalt.
Insgesamt scheint also etwas mehr Gelassenheit im Umgang mit dem Thema angebracht. Schon allein aus Gründen knapper Ressourcen wird sich das Bundeskartellamt immer auf die „knackigen“ Fälle beschränken. Es gibt außerdem Anlass zu der Hoffnung, dass sich das Amt auch bei dem Anwendungsschwerpunkt „Vertikale Wettbewerbsbeschränkungen“ an den etwas in Vergessenheit geratenen „more economic based approach“ erinnert. Wendet man diesen auf die zurzeit so leidenschaftlich diskutierten Fälle an, kommt man sehr schnell weg von einem „handlungsbasierten“ hin zu einen „effektbasierten“ Ansatz und kann so die Spreu vom Weizen trennen. Die Unternehmen selbst sollten ihre internen und externen Prozesse auf die Vereinbarkeit mit den einschlägigen Vorschriften prüfen. Dabei sind die im Kartellrecht spezialisierten Anwälte natürlich gern behilflich.
Rechtsanwalt Johann Brück
Hermanns Wagner Brück Rechtsanwälte, Düsseldorf