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WRP 2011, III
Meyer 

Die Skandalisierung nach dem Skandal

Bei Krisen, wie dem jüngsten über Dioxin, läuft die moderne Gesellschaft chronisch Multimorbider redundant Gefahr, sich in der Skandalisierung zu erschöpfen und Sachargumente zu vernachlässigen.

Beim aktuellen Dioxin-Skandal wurde bei der eigenbetrieblichen Kontrolle eines Mischfutterherstellers eine Verunreinigung von pflanzlichem Futterfett mit aus technischen Fettsäuren gelösten Dioxinen festgestellt. Dieses verunreinigte Futtermittel wurde in Betrieben mit Geflügel und Schweinen sowie von Milcherzeugern verfüttert. Die ermittelten Dioxingehalte für Fleisch und Eier lagen bei einigen Proben über dem in der Europäischen Union in der VO 1881/2006 festgelegten Höchstgehalten; sie stellen jedoch – wie das Bundesinstitut für Risikobewertung feststellte – keine Gesundheitsgefahr für Verbraucher dar. Die kontaminierten Lebensmittel sind jedoch keinesfalls verkehrsfähig, da verzehrsungeeignet.

Dem öffentlichen Diskurs um Lösungen aus der Krise, etwa welche Vorsorgemaßnahmen zu treffen sind, ist meist insbesondere eine Fehlerquelle eigen: die Verfügbarkeitsheuristik, vor allem dann, wenn komplexe Lebenssachverhalte nicht umrissen werden. Durch diese kann der verzerrte Eindruck entstehen, dass es von nachhaltiger Dringlichkeit sei, (immer mehr) Vorsorgemaßnahmen gegen (oft schwerlich) bestimmbare Risiken zu ergreifen.

Im aktuellen Dioxin-Fall handelte wohl aber jemand „in völlig unverantwortlicher, skrupelloser Weise“, wie Ministerin Aigner dies in seiner Dramatik angemessen zugespitzt formulierte. Deviantes Verhalten kann allerdings von einer noch so fein justierten risikobasierten Kontrolle schwerlich erfasst werden. Diese Krise hatte einen punktuellen Auslöser, kann aber nicht ein (Qualitäts-Management-) System der Lebensmittelherstellung erst einmal, ohne nähere Anhaltspunkte, in Frage stellen. Wir dürfen auch in Krisen nicht zur Geisel einer fiktionalen Scheinrealität werden, welche von Pseudoereignissen erzeugt wird. Der Ruf nach Nachhaltigkeit in der Landwirtschaft ist nicht Ziel führend.

Neben dem aktuellen Krisenszenario wird und muss bei den betroffenen Unternehmen möglichst kurzfristig verifiziert werden, ob die spätestens seit der BSE-Krise einzuführenden und von der BasisVO 178/2002 vorgeschriebenen Systeme moderner Lebensmittelsicherheit wie Rückverfolgbarkeit und Eigenkontrollen in einer effizient arbeitenden Futtermittel-/Lebensmittelkette griffen. Wäre dies nicht der Fall, müssten interne Sicherheitssysteme der Unternehmen tunlichst schnell optimiert werden; eine verpflichtende Freigabeuntersuchung für Zugänge in der Futtermittelkette, die aus risikobehafteten Quellen stammen, könnte dabei zur Futtermittelsicherheit beitragen.

Prof. Dr. Alfred Hagen Meyer
meyer//meisterernst rechtsanwälte, München
www.meyer-meisterernst.de

 
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