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WRP 2017, I
Schröder 

Die Legalisierung pauschaler Plattformverbote – eine Gefahr für die Wettbewerbsfreiheit?

Abbildung 1

Dr. Peter J. Schröder

Die Digitalisierung hat den Einzelhandel revolutioniert. Die vollständig veränderten Wettbewerbsverhältnisse in der Branche haben nicht wenige Einzelhandelsunternehmen in eine Krise gestürzt. Insbesondere kleineren Einheiten fällt es häufig schwer, sich auf die neuen Marktbedingungen mit bisher unbekannten Vertriebskanälen einzustellen. So verstärken sich Konzentrationstendenzen. Umso wichtiger ist es, dass alle Marktteilnehmer die neuen Möglichkeiten des Internethandels nutzen können, wenn sie dies wollen. Dabei spielen Verkaufsplattformen eine besondere Rolle. Sie werden in Deutschland von über 60 Prozent der Händler als Online-Vertriebskanal genutzt.

Dies hat auch das Bundeskartellamt erkannt und ist erfolgreich gegen pauschale Plattformverbote, die Hersteller in selektiven Vertriebssystemen gegenüber Händlern ausgesprochen haben, vorgegangen (BKartA, Fallbericht Adidas vom 27.06.2017 – B3-137/12). Auch die Rechtsprechung hat zum Teil entsprechende vertikale Beschränkungen untersagt (OLG Schleswig, 05.06.2014 – 16 U Kart 154/13, WRP 2014, 1112 m. Anm. Telle; LG Frankfurt a.M., 18.06.2014 – 2-03 O 158/13, MMR 2014, 777 und LG Frankfurt a. M., 31.07.2014 – 2-03 O 128/13, NZKartR 2015, 243; abweichend: OLG Frankfurt a. M., 22.12.2015 – 11 U 84/14, WRP 2016, 515). Die dadurch gewonnenen Handlungsspielräume der Händler werden nun aber aus Europa bedroht.

Die EU-Kommission stellte im Mai 2017 fest, dass auch pauschale Marktplatzverbote nicht als Kernbeschränkungen zu werten seien (Abschlussbericht über die Sektoruntersuchung zum elektronischen Handel, COM (2017) 229 final, Rn. 41). Das bisher in Deutschland vorherrschend anerkannte Regel-Ausnahme-Verhältnis wurde damit umgekehrt: Nach Auffassung der Kommission sind Plattformverbote nun grundsätzlich zulässig.

Die Markenartikelindustrie hat die neuen Möglichkeiten sofort erkannt und seitdem in großem Umfang pauschale Plattformverbote gegenüber ihren Handelspartnern ausgesprochen. Ob dieses Vorgehen zulässig ist, wird die anstehende Entscheidung des EuGH in der Sache Coty/Akzente (anhängig unter C-230/16; Vorlagebeschluss, OLG Frankfurt a. M., 19.04.2016 – 11 U 96/14 (Kart), WuW 2016, 314) zeigen. Der Generalanwalt hat allerdings bereits ganz im Sinne der Kommission argumentiert (EuGH-Pressemitteilung Nr. 89/17 vom 26.07.2017): Eine per se kartellrechtswidrige Kernbeschränkung könne er bei pauschalen Plattformverboten nicht erkennen. Den realen Marktverhältnissen entspricht diese Bewertung aber nicht.

Auch die Sektoruntersuchung der Kommission (COM (2017) 229 final, Rn. 504 d)) hat gezeigt, dass Marktplatzverkäufe für Händler von kleiner und mittlerer Größe verhältnismäßig wichtig sind. 46 Prozent der kleinen europäischen Händler wickeln danach ihre Verkäufe auch über Plattformen ab. Häufig finden sie nur so den Zugang zum Kunden und werden daher von Marktplatzverboten besonders hart getroffen. Dies räumt auch die Kommission ein. Für diese Händler bedeutet ein Plattformverbot damit zwar nicht ausdrücklich, aber de facto eine Beschränkung der Kundengruppe und des passiven Verkaufs. Unerheblich ist, dass solche Beschränkungen bei den Marktteilnehmern unterschiedlich wirken. Wenn ein Hersteller in seiner Vertriebsvereinbarung Regelungen verwendet, die sich für einen signifikanten Teil seiner Vertragspartner als Gebiets- oder Kundengruppenbeschränkungen auswirken, haben diese Vorgaben als Kernbeschränkung zu gelten. Eine abweichende Auffassung verkennt die wettbewerbsökonomische Bedeutung der europäischen Vorgaben.

Außerdem ist zu berücksichtigen, dass bei pauschalen Plattformverboten die von der Kommission entwickelten Voraussetzungen zulässiger selektiver Vertriebssysteme regelmäßig nicht vorliegen. Pauschale Verbote gehen nämlich fast immer über das erforderliche Maß hinaus und sind damit unverhältnismäßig, weil Hersteller als milderes Mittel auch konkrete Vorgaben für eine grundsätzlich zulässige Plattformnutzung aufstellen können.

Zwar kann allein der Schutz des Luxusimages eines Produkts ein selektives Vertriebssystem nicht rechtfertigen (EuGH, 13.10.2011 – C-439/09, WRP 2011, 1577, 1581 – Pierre Fabre). Aber selbst dieses umstrittene Ziel wäre durch entsprechende Vorgaben für die Plattformnutzung erreichbar. Zur Gewährleistung eines angemessenen Verkaufsumfelds kann der Hersteller z. B. ausschließlich die Nutzung von Plattformen gestatten, auf denen hochwertige Markenware angeboten wird. Entsprechend konkretisierte Vorgaben sind machbar, können produktabhängig sinnvoll sein und würden außerdem den Wettbewerb im hochkonzentrierten Plattformmarkt intensivieren. Die durch Plattformen realisierte Preistransparenz und der damit verbundene optimierte Preiswettbewerb blieben erhalten. Es bleibt zu hoffen, dass der EuGH diese Chancen erkennt.

In jedem Fall hat auch die herstellerfreundlichste Interpretation des geltenden Kartellrechts Grenzen, die wohl auch der Generalanwalt anerkennt: Wenn Hersteller selbst Plattformen für den Vertrieb nutzen oder mit Plattformen als „autorisierte Händler“ zusammenarbeiten, werden im Übrigen ausgesprochene pauschale Plattformverbote nicht diskriminierungsfrei angewandt und sind damit grundsätzlich unzulässig. Auch die EU-Kommission hält entsprechende Praktiken daher für problematisch. Immerhin ein Lichtblick!

Dr. Peter J. Schröder, Berlin

 
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