Maschinelle Sprachübersetzung und die globale Wirtschaftssprache der Zukunft
Die heute erreichte Genauigkeit maschineller Übersetzungen zwischen den großen europäischen Sprachen, namentlich aus dem Englischen, ist beeindruckend. Es ist zu erwarten, dass der rasante technische Fortschritt der letzten Jahre auf dem Gebiet der maschinellen Übersetzung sich fortsetzen wird, so dass wir in wenigen Jahren selbst anspruchsvolle Texte inhaltlich genau maschinell übersetzen können. Ich denke hier auch an juristische Texte und sachlich präzise Angaben dessen, was Vertragspartner wollen oder ein Gesetzgeber anordnet. Auf dieser Grundlage wird sich für das internationale Wirtschaftsrecht die Frage der inhaltlichen Präzision juristischer Fachausdrücke stellen. Bei der Beschreibung von Vertragsinhalten, z. B. Qualitäts- und Leistungsbeschreibung, vermag die maschinelle Übersetzung bereits heute fast mehr als ein menschliches Gehirn. Um ein willkürliches Beispiel zu nennen: “Der Verkäufer ist verpflichtet, konkav gebogene Rundhölzer von 10 cm Zentimeter Länge und 3 mm Dicke am 27. 8. 2018 an der Baustelle des Käufers zu liefern.” Daraus macht Google-Übersetzer schon heute: “The seller is obliged to deliver concave curved logs of 10 cm centimeters length and 3 mm thickness on August 27, 2018 at the buyer's site.”
Trotz vieler Vereinheitlichungstendenzen im materiellen Recht (das CISG sei nur statt vieler genannt) und im Prozessrecht (hier sei beispielhaft das heute praktisch welteinheitliche Recht der Internationalen Handelsschiedsgerichtsbarkeit genannt) werden wir noch auf einige Generationen hin mit den unterschiedlichen Rechtsordnungen der Staaten zu rechnen haben. Der international tätige Jurist muss daher weiterhin in Rechnung stellen, dass z. B. das deutsche Wort “Anspruchsgrundlage” so in anderen Rechten nicht vorkommt und dass die von Rechtslexika dafür angebotenen Entsprechungen (auch) etwas Zusätzliches und/oder Abweichendes als im deutschen Recht bedeuten können. Für “Anspruchsgrundlage” nennt Google-Übersetzer (Russisch-Deutsch) “Претензия основа”. Für Deutsch-Englisch wird “Claim basis” genannt. Wird “claim” dann in Google-Übersetzer Englisch-Russisch eingegeben, kommt “основание требования” heraus. Diese Ausdrücke sind in allen drei Sprachen einander zwar inhaltlich ziemlich ähnlich, aber doch nicht identisch.
Der deutsche Systembegriff “Willenserklärung” kommt mit dem bei uns gemeinten Sinn offenbar ebenfalls in keiner anderen Rechtsordnung vor. Die dafür in Rechtslexika gegebenen Entsprechungen variieren, und es gilt das oben Gesagte. Die richtige Übersetzung der in § 164 BGB gemeinten rechtsgeschäftlichen Vertretungsmacht ins Französische ist ohne kommentierenden Zusatz kaum möglich, denn “mandat” (Art. 1984 code civil) bedeutet Vertretungsmacht und/oder Auftrag. Entsprechendes gilt im Common Law, wo als Übersetzung von “Vollmacht/Vertretungsmacht” z. B. “power of attorney/mandate/proxy” in Betracht kommen – Begriffe, die untereinander nicht ganz dasselbe bedeuten und daher kaum als eindeutige Übersetzung für das französische “mandat” oder die entsprechenden russischen Begriffe “доверенность/полномочие” taugen. Bei anderen Fachausdrücken kommen noch viel größere Abweichungen vor. Diese Bedeutungsbreite liegt letztlich den Fragen der kollisionsrechtlichen Qualifikation zugrunde. Fragen dieser Art sind bekannt. Sie bilden das Grundgerüst der Rechtsvergleichung.
Die richtige Übersetzung des Vertragstextes wird, wie gesagt, künftig nicht mehr das Problem sein. Diese geschieht maschinell. Entscheidend wird aber sein, ob die Vertragspartner unter den im Vertrag z. B. vorkommenden juristischen Systembegriffen wie Frist, Gewährleistung, Rücktrittsrecht, Mängelanzeige, Irrtum, Besitz, Vorbehaltseigentum, Eigentumsvorbehalt, Schadensersatz, Bereicherung usw. auch dasselbe verstehen. Damit Juristen die künftig zu erwartenden Möglichkeiten der maschinellen Übersetzung nutzen können, müssen die verbleibenden semantischen Probleme bei diesen juristischen Systemausdrücken gelöst werden. In Hinblick darauf wäre es wünschenswert, ein international verbindliches “Eindeutigkeitsregime” für juristische Fachausdrücke zu erarbeiten. Manche Juristen werden zögern, das für möglich zu halten. Zu denken ist aber an eine Art RAL-Skala, mit welcher es gelingt, exakte Entsprechungen für Farbtöne digital festzulegen. Das sollte auch für juristische Systemausdrücke möglich sein. M. E. ist dabei ein Vorgehen in vier Schritten zu empfehlen:
1. Es wird – in welcher Form auch immer – eine internationale Organisation für internationale Rechtsnormung etabliert.
2. Es werden weltweit aus den wichtigen Rechtskreisen die prägenden juristischen Systembegriffe gesammelt und katalogisiert.
3. Für diese Begriffe werden in den ausgewählten Sprachen eindeutige Entsprechungen/Übersetzungen festgelegt. Das Wort “Willenserklärung” hätte dann im Englischen, Französischen, Spanischen, Russischen, Chinesischen usw. eine jeweils eindeutige Entsprechung.
4. Der Begriffskatalog wird weltweit verfügbar gemacht und gepflegt nach Art der Incoterms. Parteien, die sich darauf beziehen, haben dann eine klare Inhaltsbestimmung dieser Begriffe, und zwar unabhängig von dem im Übrigen anwendbaren Recht.
5. Verträge und Rechtstexte, die mit diesem Übersetzungssystem gefertigt werden, geben die Vermutung vor, dass der juristische Fachausdruck den dort definierten Inhalt hat.
Dr. Menno Aden, Essen