Gemeinsame Probleme im Arbeits- und Sozialrecht – nicht nur in Europa
Der IX. Europäische Kongress der Internationalen Gesellschaft für das Recht der Arbeit und der sozialen Sicherheit (IGRASS) zu ihrem 50. Geburtstag vom 16. bis 19. 9. 2008 in Freiburg (dazu im Vorfeld: Löwisch, RIW 2008/8, Die erste Seite) war unter der Leitung von Prof. Dr. Dr. h. c. Manfred Löwisch ein voller Erfolg. Unter den etwa 250 Teilnehmern befanden sich Mitglieder aus rund 40 Staaten der Welt, davon auch viele aus Asien und Amerika. Das Material wurde den Teilnehmern auf einer CD zur Verfügung gestellt und steht im Internet noch bis Ende Februar 2009, ergänzt um nachträglich eingegangene Beiträge, unter www.labourlawfreiburg2008.com zur Verfügung.
M. E. nahm der Kongress von Programmpunkt zu Programmpunkt immer mehr Fahrt auf. Die Beiträge zu dem Thema “Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf in den Mitgliedstaaten von EU und EEC” brachten für den durch die Debatte um das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz informierten und z. T. genervten Zuhörer noch nicht sehr viel Neues und ließen ihn am Ende etwas ratlos zurück. Die Forderungen: Mehr Harmonisierung in Europa und zugleich Beachtung der Rechtskulturen standen ebenso in einem Spannungsverhältnis wie das Verlangen nach realer Gleichheit durch mehr spezifische Förderung von Benachteiligten und das Verbot von Diskriminierung. Hier hätten nur konkrete Beispiele weiterhelfen können.
Spannender wurde es unter der Moderation von Prof. Dr. Dres. h. c. Rolf Birk (Trier) schon bei dem Thema “Auswirkungen von Informations- und Kommunikationstechnologien auf das Arbeitsrecht”. Gerade auch die Beiträge aus Japan, den USA und Israel stützten die Forderung nach einem spezifischen Arbeitnehmerdatenschutz und zugleich angesichts der vielfältigen Fallgestaltungen nach Arbeitnehmerbeteiligung. Dabei wurde auch auf die Schutzlücken in kleineren Betrieben hingewiesen (Prof. Gaudu, Frankreich) und in diesem Zusammenhang als Auffanglösung die Wahl eines Betriebsbeauftragten durch die Belegschaft angeregt. Für den deutschen Zuhörer mit dem Grundgesetz im Reisegepäck war es sehr überraschend zu hören, welche geringe Bedeutung dem Persönlichkeitsrecht selbst in den USA (Prof. Matthew Finkin), aber auch in Japan (Prof. Satoshi Nishitani) zukommt. In Israel nehmen sich immerhin Tarifvertragsparteien des Themas an.
Anstelle von Prof. Ruth Nielsen (Dänemark) eröffnete Prof. Birk mit einer engagierten Attacke auf die Entsenderichtlinie und deren Umsetzung den Komplex “Stellung und Schutz der Wanderarbeitnehmer”. Besonders beeindruckt hat mich der Beitrag von Dr. Mijke Houwertijl (Niederlande), die die Unterscheidung zwischen den nur im Rahmen der Dienstleistungsfreiheit mitgeschützten Arbeitnehmern und dem viel weiter reichenden Schutz durch die Gewährleistung der Freizügigkeit (Art. 39 EG) in Zweifel zog. Insgesamt kann man nach wie vor ein unsicheres Schwanken zwischen dem Export von Arbeitskraft und der Abschottung unter Berufung auf den Arbeitnehmerschutz beobachten. Hinzu kommt noch die Standortverlagerung von Unternehmen. In diesem Zusammenhang schien mir die Kritik an der Laval-Entscheidung des EuGH (RIW 2008, 80), die auch bei anderen Programmpunkten geäußert wurde, überpointiert.
Sehr deutlich wurden die Schwierigkeiten der Arbeitnehmerseite, bei komplexen Unternehmensorganisationen (z. B. Konzern, Einschaltung von Subunternehmern) stets auf Augenhöhe mit den wirklich Verantwortlichen zu sein. Prof. Dr. Rüdiger Krause (Göttingen) führte in die Thematik vorzüglich ein und fand tatkräftige Unterstützung durch die Berichte von Prof. Umberto Carabelli (Italien) und Prof. Jesús Cruz Villalón (Spanien). Der Gesetzgeber könne angesichts der Vielfalt nur sehr lückenhaft helfen, die Gerichte müssten Rechtsmissbrauch entgegentreten. Appellieren muss man natürlich auch an die Tarifvertragsparteien, geeignete Strukturen herauszubilden, wie es jetzt § 3 BetrVG z. T. ermöglicht.
Hervorragend im Griff hatte Dr. Tomas Davulis (Litauen) seine Berichterstatter in den verschiedenen europäischen Ländern bei der Auseinandersetzung mit den “Auswirkungen der demographischen Entwicklung auf die Altersversorgungssysteme in Europa”. Durchgehend im Trend liegt die Heraufsetzung der Altersgrenze. Gemeinsamkeiten bestehen auch in der Ergänzung der gesetzlichen Altersversorgung mit verständlichen Lücken in den neuen EG-Staaten. In der Diskussion waren Beiträge aus Süd- und Mittelamerika erhellend, die nicht nur vor dem Hintergrund der dramatischen Entwicklung des Weltkapitalmarktes die Probleme rein kapitalgedeckter Versorgungssysteme veranschaulichten. Gerade hier erwies sich der weltweite offene Diskurs als besonders lehrreich und lebhaft – dies auch in Vorbereitung und im Vergleich mit dem 67. Deutschen Juristentag in Erfurt.
Der letzte Programmpunkt galt “Systemen der Rechtsdurchsetzung im Arbeitsrecht unter besonderer Berücksichtigung der Tätigkeit von Rechtsanwälten und Rechtsberatern einschließlich deren Qualifizierung” unter Vorsitz von Prof. Löwisch mit Beiträgen von Prof. Stein Evju (Norwegen) – der schon vorher durch seine Diskussionsbeiträge zu beeindrucken wusste –, Prof. Costas Papademitriou (Griechenland) und Kirill Tomashevski (Weißrussland) sowie aus dem Bereich der Verbände Reinhard-Ulrich Vorbau (DGB Rechtsschutz GmbH) und Roland Wolf (BdA). Die deutsche Arbeitsgerichtsbarkeit hatte dabei – für mich nicht überraschend – einen guten Stand.
Professor Dr. Hansjörg Otto, Göttingen