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RIW 2007, 1
Vorpeil 

Die neuen ERA 600 – ein Zwischenruf

Abbildung 1

“I trust that you also have decided that the UCP 600 is better than the UCP 500 and will join me in saying: Welcome to the UCP 600!”

So wurden die ERA 600 – die neu gefassten Einheitlichen Richtlinien und Gebräuche für Dokumentenakkreditive (s. dazu schon Vorpeil, RIW 2006, H. 12, Die erste Seite) – in der Fachpresse von prominenter Seite begrüßt. Dem schließe ich mich gerne an!

In allen Bereichen der Wirtschaft stoßen die ERA 600 grundsätzlich auf hohe Akzeptanz, auch wenn zu einzelnen Regelungen oder nicht aufgenommenen Regelungen – je nach der Interessenlage der beteiligten Kreise – teilweise kritische Äußerungen zu hören sind. Ein solch komplexes Regelwerk wie die ERA muss weltweit kompromissfähig ausgestaltet sein und kann nicht alle, in verschiedenen Regionen der Welt unterschiedliche Usancen berücksichtigen. Die letztendliche Annahme des Regelwerks mit 100 % aller Stimmen signalisiert bereits, dass der Kompromiss offensichtlich gut gelungen ist, wohl auch deshalb, weil die ICC-Bankenkommission die neuen ERA auch mit der Transportbranche und der Versicherungswirtschaft abgestimmt hat.

Um so mehr verwundert es, dass nach der Verabschiedung der ERA 600 durch die ICC-Bankenkommission im Oktober 2006 wieder eine kleine, aber dennoch nicht zu überhörende Diskussion in den Medien und in der Praxis über den Inhalt der ERA in Gang gekommen ist. Ursache hierfür ist meines Erachtens die redaktionelle Neufassung, wonach die ERA für alle Beteiligten bindend sind, “soweit sie im Akkreditiv nicht ausdrücklich geändert oder ausgeschlossen sind”. Diese Möglichkeit war aber auch schon unter der Geltung der ERA 500 eröffnet. Jetzt ist sie nur auffälliger formuliert worden.

Allem Anschein nach nehmen einzelne Akkreditivbeteiligte dies – gewissermaßen psychologisch motiviert – zum Anlass, den Revisionsprozess nachträglich zu privatisieren, indem sie einzelne Klauseln abbedingen oder modifizieren wollen. Im Einzelfall kann je nach Sachlage ein begründetes Interesse an einer Abänderung einzelner Regelungen in den ERA bestehen. Dies traf bei der Vorläuferversion der ERA 600 im gleichen Maße zu. Nicht zu akzeptieren ist aber der Versuch einer standardmäßigen “Korrektur” der ERA 600, wenn denn ein solcher unternommen würde.

Soweit eine Akkreditivbank zur Zeit ganz vereinzelt (noch) den Auftrag ausführt, ein Akkreditiv auf der Grundlage der ERA 500 zu eröffnen, mag dies darauf zurückzuführen sein, dass die Parteien des Grundgeschäfts im Rahmen einer schon länger bestehenden Geschäftsbeziehung noch die ERA 500 vereinbart hatten. Gehen wir einmal davon aus, dass dies der Grund ist. Auch wenn es sich dabei um ein klassisches Übergangsproblem handelt, sollten die Banken einer solchen Praxis dennoch strikt entgegenwirken.

Die Anwendung der neuen Richtlinien in der Praxis könnte hinsichtlich einzelner Regelungen in der jetzigen “Orientierungsphase” vielleicht noch die eine oder andere Schwierigkeit mit sich bringen. In diesem Zusammenhang bleibt zu hoffen, dass der schon seit einiger Zeit erwartete Kommentar der für die Erstellung der ERA 600 zuständigen Drafting Group der ICC-Bankenkommission bald erscheinen wird. Die Akkreditivwelt vertraut auf die hohe Kompetenz der Mitglieder dieser Arbeitsgruppe. Ein von vornherein geplanter “offizieller” Kommentar der ICC zu den ERA 600 ist sehr begrüßenswert und wird hoffentlich sog. Positionspapiere, wie sie kurz nach dem Inkrafttreten der ERA 500 veröffentlicht worden sind, überflüssig machen.

Bei einer Gesamtwürdigung gewährleisten die neuen ERA 600 einen angemessenen und zeitgemäßen Interessenausgleich zwischen den an einem Akkreditiv beteiligten Parteien. Sie stellen ein praxistaugliches Instrumentarium zur Verfügung.

Rechtsanwalt Klaus Vorpeil, Gau-Bickelheim

 
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