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RIW 2008, 1
von Hein 

Die deutsche Aktiengesellschaft im Wettbewerb der Rechtsordnungen – Zu den Beschlüssen des 67. Deutschen Juristentages

Abbildung 1

Die wirtschaftsrechtliche Abteilung des 67. Deutschen Juristentages (DJT) in Erfurt stand unter dem Thema, ob sich besondere Regeln für börsennotierte und für geschlossene Gesellschaften empfehlen. Hinter dieser rechtstechnisch klingenden Frage verbergen sich grundlegende Weichenstellungen: Erstens steht die Frage im Raum, ob Aktiengesellschaften größere Gestaltungsfreiheit bei der Ausgestaltung ihrer Organisationsverfassung gewährt werden soll, die ihnen de lege lata aufgrund des grundsätzlichen Verbots abweichender Satzungsbestimmungen verwehrt wird (§ 23 Abs. 5 AktG), und welche Auswirkungen eine Liberalisierung auf das Verhältnis der AG zur GmbH hätte. Zweitens geht es um die Positionierung der AG im internationalen Regelungsumfeld: Innerhalb Europas ist zum einen der Wettbewerb der AG mit einer supranationalen Rechtsform (SE) zu nennen, zum anderen die Attraktivität englischer Gesellschaften im Vergleich zur GmbH. Hinzu kommt für börsennotierte Aktiengesellschaften der Druck zur Anpassung an Standards des globalen Kapitalmarkts, die in den vergangenen Jahren vor allem in den USA (Sarbanes Oxley) geprägt worden sind.

Bereits das Gesetz über die kleine AG von 1994 war in Ansätzen einer stärkeren Segmentierung des Aktienrechts verpflichtet, wie sie z. B. in den USA durch weitgehende Satzungsautonomie ermöglicht wird. Und schon der 34. DJT (1926) hat sich mit der Frage befasst, ob das deutsche Aktienrecht sich generell stärker angloamerikanischen Regelungsmodellen annähern soll. Vor diesem Hintergrund ist es erstaunlich, dass das vorbereitende Gutachten von Bayer trotz rechtsvergleichender Ausführungen die US-amerikanische Dimension fast gänzlich ausblendete. Gerade für die richtige Grenzziehung zwischen zwingendem und dispositivem Recht sowie zwischen Gesellschaftsorganisations- und Kapitalmarktrecht bietet die amerikanische Rechtssetzung wertvolle Erfahrungen (auch negativer Art; näher dazu von Hein, Die Rezeption US-amerikanischen Gesellschaftsrechts in Deutschland, 2008, S. 617 ff.).

Der DJT erteilte indes einer stärkeren Differenzierung zwischen börsennotierten und nicht-börsennotierten Aktiengesellschaften ebenso eine klare Absage wie behutsamen Liberalisierungsschritten bei der Satzungsautonomie. Das jüngst verabschiedete MoMiG hat offenbar bei manchen die Bereitschaft zu weiteren Reformen des Rechts mittelständischer Unternehmen gedämpft. Nicht einmal das bei der SE schon vorhandene Wahlrecht zwischen Board- und Aufsichtsratsmodell soll laut DJT in das AktG übernommen werden. Im Einzelnen werden zwar sinnvolle Reformschritte empfohlen, insbesondere zur stärkeren Eindämmung missbräuchlicher Anfechtungsklagen. Die Strukturdebatte über das Verhältnis von Organisations- und Marktrecht sowie über den angemessenen Umfang der Satzungsautonomie wird aber auch nach Erfurt weiter geführt werden müssen.

Professor Dr. Jan von Hein, Trier

 
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