Netzwirtschaftsrecht gestern, heute, morgen
Andreas Neumann*
Die vorliegende Ausgabe der N&R beschließt das Jahr, in dem die Zeitschrift ihren 20. Geburtstag gefeiert hat. Das Netzwirtschaftsrecht ist in diesen 20 Jahren von einer Nischendisziplin zu einem äußerst lebendigen Rechtsgebiet herangewachsen.
Einige Themen sind dabei anlassbezogene Übergangsmaterie geblieben, wie etwa die Mehrerlösabschöpfung (vgl. Ortlieb, N&R 2006, 145) oder der Streit um die richtige Einordnung der Bahnstromregulierung (siehe Ehricke, N&R 2006, 105). Anderes ist ein auch heute noch relevanter Dauerbrenner, wie etwa die Forderung nach einer gemeinsamen (Teil-) Kodifizierung des Netzwirtschaftsrechts (siehe etwa Masing, N&R 2007, 45; Neumann, N&R 2021, 193) oder die bisher zwischen den verschiedenen Netzsektoren unterschiedlich ausgestaltete Reichweite der gerichtlichen Aufhebung von Entgeltgenehmigungen (hierzu z. B. Böhme/Schellberg, N&R 2012, 284, 285 f.; Wollenschläger/Harms, N&R 2024, 34, 35 und 38).
Auch die Sorge um eine Beeinträchtigung des Grundrechts auf effektiven Rechtsschutz durch die Anerkennung behördlicher Einschätzungsprärogativen ist ein Klassiker des Netzwirtschaftsrechts und insbesondere im Energierecht weiterhin ein dogmatisch heißes Eisen (vgl. Richter, N&R 2019, 193). Insoweit bleibt es freilich dabei, dass sich die in hohem Maße ökonomisch und prognostisch geprägten Bewertungen, die in den komplexen Netzwirtschaftsmärkten oftmals bereits auf Erkenntnisebene erforderlich sind, zumeist den Kategorien von richtig oder falsch entziehen. Sie ähneln in ihrer Abwägungsabhängigkeit vielmehr weit eher den Vertretbarkeitsanforderungen von Ermessensentscheidungen, deren Vereinbarkeit mit Art. 19 Abs. 4 GG als solche jedenfalls grundsätzlich nicht in Zweifel gezogen wird. Die Gerichte haben die sich daraus ergebende Herausforderung, die Grenzen einer gesetzlichen Entscheidungsvorstrukturierung mit dem individuellen Rechtsschutzanspruch auszutarieren, bislang mit der nötigen Umsicht gemeistert.
Was die Zukunft des Netzwirtschaftsrechts bringen wird, bleibt letzten Endes Kaffeesatzleserei. In Zeiten zunehmender öffentlicher Erwartungen an bestimmte Marktergebnisse auch in den Infrastruktursektoren wird jedenfalls die als solche keineswegs neue Diskussion vermutlich noch an Intensität zunehmen, wie die richtige Balance zwischen einer auf den Schutz des wettbewerblichen Entdeckungsverfahrens konzentrierten Regulierung und der gezielten Vorgabe spezifischer Allgemeinwohlziele mitsamt zu ihrer Erreichung gedachter Instrumente zu finden ist (vgl. bereits u. a. Böge, N&R 2004, 45; Zimmer, N&R 2014, 1; Sickmann, N&R 2017, 129). Treiber sind hier u. a. klimapolitische Notwendigkeiten. Sie machen nicht nur eine Transformation des Energiesektors unumgänglich (siehe hierzu etwa Müller, N&R 2024, 65; Haller, N&R 2024, 213), sondern haben beispielsweise auch verkehrspolitische Konsequenzen und drängen zu einer beschleunigten Kupfer-Glas-Migration. Aber auch die fortschreitende Digitalisierung und aus ihr folgende Versorgungsvorstellungen können sich auf die rechtliche Ausgestaltung des Netzwirtschaftsrechts insbesondere im Bereich der Telekommunikation und Post auswirken (vgl. etwa Kühling, N&R 2019, 1).
Aus einer eher praxisorientierten Sicht heraus wäre überdies eine verstärkte Diskussion über die Konsequenzen einer gerichtlichen Beanstandung von Regulierungsentscheidungen wünschenswert. Es erscheint jedenfalls nicht sonderlich glücklich, wenn etwa eine Regulierungsverfügung fünf Jahre nach ihrem Erlass unmittelbar vor ihrer Ablösung durch eine Folgeregelung aufgehoben wird und damit die Grundlage für alle zwischenzeitlichen Umsetzungsmaßnahmen rückwirkend entfällt. Optimierungspotential scheint des Weiteren auf, wenn die gerichtliche Aufhebung rechtswidriger Briefportogenehmigungen aufgrund der normativen Kraftlosigkeit des Faktischen im Massengeschäft für das marktbeherrschende Unternehmen praktisch keine wirtschaftlichen Auswirkungen hat oder wenn Ende 2024 Entgelte für den 2018 gewährten Zugang zum Teilnehmeranschluss neu genehmigt werden müssen. Marktprägenden Entscheidungen der Bundesnetzagentur kommt vielmehr eine Bedeutung zu, die derjenigen von Planungsentscheidungen entspricht, ohne dass der Gesetzgeber jenseits punktueller Regelungen wie in § 12 Abs. 1 S. 3 ARegV Reparaturmöglichkeiten geschaffen hat, die etwa § 75 Abs. 1a VwVfG oder § 214 BauGB vergleichbar wären. Die Rechtsprechung hat zwar Wege aufgezeigt, wie weitgehende Verwerfungen und Gemeinwohlschäden in der Folge gerichtlicher Interventionen gemindert werden können (überblicksartig Neumann, N&R 2024, 198, 204 f.). Diese Handlungsoptionen bleiben aber inhaltlich begrenzt und gehen mit einigen Unwägbarkeiten einher. Gerade um die allseits gewünschte Investitions- und Planungssicherheit unter Wahrung der Rechtsschutzgarantie zu gewährleisten, wäre hier Spielraum für den Gesetzgeber, die Zukunft des Netzwirtschaftsrechts sinnvoll weiter zu gestalten.
* | Geschäftsführer des privaten Instituts für das Recht der Netzwirtschaften, Informations- und Kommunikationstechnologie (IRNIK). |