Der Herbst der Entscheidungen
Prof. Dr. Alexander Golland Schriftleitung Datenschutz-Berater
Das Erscheinungsdatum dieses Heftes fällt beinahe mit dem Tag zusammen, an dem FDP-Chef Lindner im vergangenen Jahr von einem „Herbst der Entscheidungen“ sprach. Keine Sorge: Ich werde Sie in diesem Editorial nicht mit einer Epode auf die ehemalige Ampel-Koalition quälen, wenngleich die aktuelle Regierungskoalition ähnliche Bruchstellen (Sollbruchstellen?) bekommen hat, und die Auguren das Ende jener Koalition teils befürchten, teils herbeisehnen.
Wenn wir Datenschützer von einem „Herbst der Entscheidungen“ sprechen, richtet sich unser Blick ganz intuitiv nach Luxemburg. Dort haben die Richter des Europäischen Gerichtshofs in den vergangenen Monaten und Jahren zahlreiche Urteile, insbesondere zur Verhängung von Bußgeldern, zu den Voraussetzungen des Schadenersatzanspruchs und zum Recht auf Auskunft und Datenkopie, gesprochen.
Für den September sind gleich drei wegweisende Entscheidungen angekündigt. Hier geht es nicht um Details, sondern um fundamentale Fragen des Datenschutzrechts. Das Verfahren „EDSB ./. SRB“ (C-413/23 P) behandelt nichts Geringeres als den Personenbezug als solchen: Wann sind welche Daten für wen personenbezogen, wann anonym? Viele erhoffen sich Klarstellungen zu Aspekten, die bereits Gegenstand der vieldiskutierten „Breyer“-Entscheidung aus dem Jahr 2016 waren. In „Quirin Privatbank“ (C-655/23) wird u.a. die spannende Frage erörtert, ob die Datenschutz-Grundverordnung auch einen Unterlassungsanspruch enthält und, falls dies bejaht wird, unter welchen Voraussetzungen der Anspruch besteht. Klagen auf Unterlassung wurden über das Vehikel des Wettbewerbsrechts bereits vom EuGH für zulässig erachtet, doch hier entsteht womöglich ein originär datenschutzrechtlicher Anspruch, ein neues Betroffenenrecht. Schließlich behandelt das Verfahren „Latombe ./. Kommission“ (T-553/23) einen Dauerbrenner: Datentransfers in die Vereinigten Staaten. Ob das EU-U.S Data Privacy Framework hält, was es verspricht? Bereits nach den beiden „Schrems“-Urteilen der Jahre 2015 und 2020 war davon die Rede, der EuGH habe dem Internet den Stecker gezogen. Zwar steht der kalendarische Herbstanfang noch aus – aber manchmal macht der Gerichtshof ja auch ein wenig Politik.
Sie, liebe Leser, haben einen entscheidenden Vorteil: Die Entscheidungen, auf die ich mit großer Spannung warte, werden voraussichtlich in der ersten Septemberwoche getroffen – also bereits getroffen sein, wenn Sie diese Zeilen lesen.
Ist damit alles geklärt? Wahrscheinlich nicht. Nicht selten werfen die Orakelsprüche aus Luxemburg ähnlich viele Fragen auf wie sie beantworten. Ich bin mir sicher, dass uns mindestens eine dieser Entscheidungen, vielleicht sogar alle drei, nachhaltig beschäftigen werden. Wie groß das hierdurch ausgelöste Beben wird und welche neuen Herausforderungen damit für Verantwortliche einhergehen werden, vermag ich beim Abfassen dieser Zeilen nicht abzusehen.
Eines kann ich Ihnen jedoch versprechen: Wir werden diese Urteile im nächsten Heft analysieren und, wie gewohnt, praxisnahe Empfehlungen geben.
Ihr
Alexander Golland