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CB 2020, I
Bielefeld 
CB 2020, Heft 06, Umschlagteil S. I (I)

VerSanG-E: Amtlich!

Der Anreiz zur Kooperation wird bei internen Untersuchungen operativ äußerst mager ausfallen.

Abbildung 1

Zu Corona-Zeiten geht unter Anwälten das Bonmot um, dass man ja mit Abstand am besten sei. Die Verknüpfung von Abstandsregeln, Wortspielen und dem Reifegrad von Referentenentwürfen ist zugegebenermaßen etwas bemüht, jedoch: Etwas über acht Monate vergingen vom 15. 8. 2019 bis zum 20. 4. 2020. Die beiden Daten beziehen sich auf den jeweiligen Bearbeitungsstand zweier Referentenentwürfe eines Gesetzespakets. Während der erste Entwurf, obschon von Insidern als „Presse-Entwurf“ bezeichnet, niemals offiziell vorgestellt wurde, ist der zweite Entwurf seit dem 22. 4. 2020 und damit pünktlich nach Redaktionsschluss zum Download verfügbar.1 Aus dem Entwurf eines Gesetzes „zur Bekämpfung der Unternehmenskriminalität“ ist ein solcher „zur Stärkung der Integrität in der Wirtschaft“ geworden.

Was beide Entwürfe eint: In Artikel 1 findet sich jeweils der bereits auch im Compliance-Berater viel diskutierte Entwurf eines „Gesetzes zur Sanktionierung von verbandsbezogenen Straftaten“, des so genannten Verbandssanktionengesetzes (VerSanG-E).

Was hat sich im VerSanG-E geändert? Viele Kleinigkeiten, die im nächsten Heft (Ausgabe 7/2020) eingehender vorgestellt werden. Manche davon sind klarstellender Natur. Nach § 1 S. 1 VerSanG-E sind nur Verbände, „deren Zweck auf einen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb gerichtet ist“, zu sanktionieren. Dies schärft bewusst den Fokus auf Unternehmen. § 2 Abs. 1 Nr. 3 VerSanG-E mildert dezent die Bezeichnung des zu sanktionierenden Verhaltens: aus „Verbandsstraftat“ wurde „Verbandstat“. Eine schlaue Korrektur, wollten die Entwurfsverfasser doch von Anfang an nicht von einem Unternehmensstrafrecht sprechen. An der Mechanik ändert das nichts: Weiterhin sind gerade Straftaten von Mitarbeitern relevanter Anknüpfungspunkt für Verbandssanktionen.

Entschärfung: Grund dafür, dass der „neue“ VerSanG-E einen Paragraphen weniger zählt als der Erstentwurf, ist die Abschaffung „Todesstrafe für Unternehmen“, die der Erstentwurf als sogenannte Verbandsauflösung vorsah und in § 14 näher definierte.

Bemerkenswert: Es gibt kaum Änderungen bei den besonders zu belohnenden internen Untersuchungen (nun in §§ 16 bis 18 VerSanG-E geregelt). Am bedeutendsten ist, dass die Milderung nun keine „Kann“-, sondern eine „Soll-Vorschrift“ geworden ist (§ 17 Abs. 1 VerSanG-E). Das bringt einen höheren Grad von Verbindlichkeit. Bei Erfüllung sämtlicher Vorgaben ist ein Gericht in seinem Ermessen gebunden und soll eine Verbandsgeldsanktion um 50 % mildern.2

Kosmetik: Die ehemals vorgesehenen sechs Prinzipien und drei Grundsätze3 wurden vordergründig um ein Prinzip reduziert. Geblieben sind mit dem Aufklärungs-, Trennungs-, Unterwerfungs-, Herausgabe- und Fairnessprinzip zum Teil vielfach kritisierte und weitreichende Auflagen. Die drei Grundsätze, wie mit Mitarbeitern bei Interviews umzugehen ist, bleiben unverändert und sollen ein hohes Schutzniveau für Mitarbeiter garantieren. Stimmen von Praktikern, die auf Nachteile bezüglich der Ergiebigkeit von Interviews hinwiesen, blieben ungehört. Selbst das nun entfallene Complianceprinzip (ehem. § 18 Nr. 6) wird hinterrücks beibehalten: Die Entwurfsverfasser führen es als „selbstverständlich“ in der Entwurfsbegründung an, da der Staat nur „gesetzestreues Verhalten mit einer Sanktionsmilderung honorieren“ könne.4

Eine bereits zuvor schon logische Milderungvoraussetzung ist nun in § 17 Abs. 3 S. 2 VerSanG-E ausdrücklich hervorgehoben: Gibt ein Unternehmen Untersuchungsergebnisse zu spät heraus, ist eine Milderung ausgeschlossen. Dies wäre aber als Verstoß gegen das Unterwerfungs- und Herausgabeprinzip schon Ausschlussgrund für eine Milderung nach § 17 Abs. 1 VerSanG-E.

Ungelöst bleibt die rechtspolitisch im Frühjahr 2019 diskutierte Frage,5 ob Unternehmen es akzeptieren, sich bei internen Untersuchungen auf die im Entwurf vorgesehene Weise Staatsanwaltschaften zu unterwerfen, um einen Sanktionsnachlass von 50 % zu erreichen. Genügende Anreize zur Kooperation bei internen Untersuchungen und für eine wirklich gelebte Compliance haben die Entwurfsverfasser zwar geschaffen. Sie haben leider zugleich mit dem unverändert belassenen Herausgabeprinzip ein vom Risikopotential her kaum zu definierendes Gegengewicht gesetzt, sodass der Anreiz zur Kooperation gerade bei internen Untersuchungen in komplexeren Fällen operativ äußerst mager ausfallen wird.

Wir können hoffen, dass die eingangs bemühte Corona-Abstandsregel für den weiteren Entstehungsprozess des VerSanG-E noch Fortschritte bringt: Das BMJV hat zahlreiche Verbände mit Schreiben vom 21. 4. 2020 aufgefordert, ihre Stellungnahmen zum Entwurf bis zum 12. 6. 2020 einzureichen. Genug Zeit und Abstand zum Nachdenken und Nachbessern ist also vorhanden.

Jörg Bielefeld ist Rechtsanwalt und Partner bei BEITEN BURKHARDT in Frankfurt und München. Er leitet den Bereich Wirtschaftsstrafrecht und Compliance.

1

https://www.bmjv.de/SharedDocs/Gesetzgebungsverfahren/Dokumente/RefE_Staerkung_Integritaet_Wirtschaft.pdf

2

Entwurfsbegründung, Seite 98.

3

Hierzu Bielefeld, CB 2019, Seite 413 ff.

4

Entwurfsbegründung, Seite 98.

5

Plenarprotokoll des Dt. Bundestages, 19. Wahlperiode, Seite 11.476.

 
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