Compliance auf „die harte Tour“ lernen
„Das ist es nicht wert.“
Auf dem Sterbebett sagte ihm sein Chef schließlich, wie das läuft mit dem Hauptauftraggeber. Pro Auftrag sei eine bestimmte Summe Bestechungsgeld abzugeben. Er, der zum Nachfolger auserkorene Geschäftsführer, wusste nun Bescheid über ein plumpes Modell aus Geben und Nehmen, wobei sich der Geber in einer Position der Schwäche sah, den Nehmer hingegen als Repräsentanten eines starken Großunternehmens. Nun galt es abzuwägen: Weitermachen mit der aufgezwungenen Bestechung oder einen Schlussstrich ziehen? Moralisch schien die Sache klar, doch so einfach war das nicht: Die Arbeit für den korrupten Auftraggeber generierte rund 80 Prozent des Gesamtumsatzes des mittelständischen Unternehmens.
Diese Erinnerung an ein lange zurückliegendes, menschlich wie sachlich extremes Szenario, mit dem ich als junger Strafverteidiger in einer Zeit, als es „Compliance“ jenseits regulierter Industrien noch gar nicht gab, umzugehen hatte, holte mich aktuell nicht ganz zufällig wieder ein. Es wurde mir wieder präsent im Zuge der diesjährigen Deutschen Compliance Konferenz (Tagungsbericht in diesem Heft auf Seite VI). Wie selbstverständlich wurden hier quer durch die verschiedenen Themenbereiche wichtige und für uns aus dem „Team Compliance“ schon erwartbare Einordnungen und Begriffe verwendet.
Es geht um nicht mehr oder weniger als ethisch klar vertretbares Handeln. Um die Grundlage, wie wir unsere Arbeit verstehen, unsere Teams und Unternehmen organisieren und führen. Dass wir als Führungskräfte nie vergessen, dass ein „falsches Abbiegen“ Folgen hat. Dass ethisch klares Handeln kein Widerspruch dazu ist, auch in kritischen Situationen ins Risiko zu gehen und unternehmerisch zu handeln. Problematisch wird es stets dann, wenn unternehmerisches Handeln ohne ethisches Fundament fehlverstanden wird.
So mahnte die Referentin aus dem Bundeskartellamt an, dass Compliance von der Führungsebene als „gelebte Unternehmenskultur“ verstanden werden müsse. Dass man aber offensichtlich noch nicht so weit sei, weshalb ein robustes Enforcement mit Kartellgeldbußen im Multimillionenbereich weiter essentiell für einen bestimmten Compliance-Impact sei und ihre Behörde deshalb weiterhin viel Arbeit hätte.
Auch der Kartellrechts-Chef eines multinationalen Dax-Konzerns betonte, dass die Verankerung seiner Thematik in der Compliance-Kultur entscheidend sei. Sein CEO macht klar: „Compliance ist unverhandelbar“, ethisches Verhalten stelle den Kern jedes geschäftlichen Handelns dar. Allerdings, so die angenehm ehrliche wie nüchterne Feststellung, sei den Bekenntnissen von heute vorausgegangen, dass der Konzern die Bedeutung von Compliance in der Vergangenheit „auf die harte Tour“ lernen musste.
Seit über 20 Jahren Spezialisierung im Wirtschaftsstrafrecht und der Compliance interessiere ich mich dafür, an welcher Stelle Menschen Entscheidungen aus welchen Gründen getroffen haben. Welche Möglichkeiten es für sie gab, mit den Gegebenheiten, die zu Non-Compliance führten, anders umzugehen.
Ein ganzes Bündel solcher Möglichkeiten, wie es besser geht, diskutierten wir auf der Deutschen Compliance Konferenz. Zentral war dabei der Ansatz des gegenseitigen Verständnisses für das, was man eigentlich tut, und des intensiven, interdisziplinären Austausches als Grundlage eines solchen Verständnisses: Im Unternehmen etwa zwischen Legal & Compliance mit den verschiedenen Abteilungen durch Workshops, Arbeit vor Ort, intensiver Kommunikation, aber auch durch die nötige Portion Kontrolle und Eskalation. Es würde durchaus einen Impact ergeben, neue Aufgaben als Compliance-Thema zu verstehen und deshalb mit intensivem Dialog und Beratung zu begleiten. Dabei ergebe es sich von allein, Compliance „in der Breite und Tiefe“ zu denken und abzubilden, etwa durch Compliance-Boards, die Stakeholder und Wissensträger aus verschiedenen Unternehmensbereichen zusammenbringen. Oder durch Projektteams, die durch ihre qua Spezialisierung diverse Zusammensetzung die Unternehmenswirklichkeit abbilden, und denen es genau deshalb besser gelingt, sich Zukunftsthemen wie KI zu widmen.
Doch zurück zu dem eingangs genannten Nachfolger und Verantwortlichen des kleinen, mittelständischen Unternehmens: Wie dieser haben auch heute zahlreiche KMU die Möglichkeit, eine Entscheidung zu treffen. Es ist fatal, sollte eine ethische Geradlinigkeit „den Umständen“ geopfert werden. Sehr oft höre ich, dass die Ressourcen knapp, die wirtschaftliche Lage schlecht und die Bürokratie überbordend sei. Das mag alles sein, sollte aber nicht als Begründung für sparsame Compliance-Arbeit verstanden werden. Denn sonst kommt er unnötig, der Moment, ab dem man es „auf die harte Tour“ lernen muss. Das ist es nicht wert.
Jörg Bielefeld ist Rechtsanwalt und Partner im Frankfurter Büro der Kanzlei Addleshaw Goddard (Germany) LLP und leitet das deutsche Team Wirtschaftsstrafrecht & Compliance als Teil der internationalen Global Investigations-Gruppe. Er ist Herausgeber des Compliance-Beraters.