Kommt eine Restrukturierungs- und Insolvenzwelle?
Der Einsatz der Sanierungsinstrumente der InsO muss nach dem Ende der Aussetzung der immer wieder verlängerten Insolvenzantragspflicht nun endlich genutzt werden.
Trotz Corona-Pandemie – in Deutschland ist die Zahl der Unternehmensinsolvenzen 2020 sogar gesunken. Wundern sollte man sich hierüber allerdings nicht. Weit vor den Maßnahmen der Legislative im Bereich des Steuerrechts (sog. Corona-Steuerhilfegesetze I, II und III) wurde mit dem Gesetz zur vorübergehenden Aussetzung der Insolvenzantragspflicht und zur Begrenzung der Organhaftung bei einer durch die COVID-19-Pandemie bedingten Insolvenz vom 27. März 2020 (BGBl. I 2020, 569 ff. – “COVInsAG”) die Insolvenzantragspflicht nach § 15a InsO und § 42 Abs. 2 BGB zunächst bis zum 30. September 2020 ausgesetzt, es sei denn, dass die Insolvenzreife nicht auf den Folgen der COVID-19-Pandemie beruht oder keine Aussichten darauf bestehen, eine bestehende Zahlungsunfähigkeit zu beseitigen. Durch das Gesetz zur Änderung des COVID-19-Insolvenzaussetzungsgesetzes vom 15. September 2020 (BGBl. I 2020, 2016 ff. – “COVInsAGÄG”) wurde die Aussetzung der Insolvenzantragspflicht bei Überschuldung bis zum 31. Dezember 2020 verlängert. Durch das Gesetz zur Fortentwicklung des Sanierungs- und Insolvenzrechts vom 22. Dezember 2020 (BGBl. I 2020, 3256 ff. – “SanInsFoG”) wurde eine zunächst bis zum 31. Januar 2021 begrenzte Sonderregelung für Schuldner geschaffen, die im Zeitraum vom 1. November 2020 bis zum 31. Dezember 2020 einen Antrag auf Gewährung finanzieller Hilfeleistungen im Rahmen der staatlichen Hilfsprogramme gestellt haben, es sei denn, dass offensichtlich keine Aussicht auf Erlangung der Hilfeleistung besteht. Durch das Gesetz zur Verlängerung der Aussetzung der Insolvenzantragspflicht und des Anfechtungsschutzes für pandemiebedingte Stundungen sowie zur Verlängerung der Steuererklärungsfrist in beratenden Fällen und der zinsfreien Karenzzeit für den Veranlagungszeitraum 2019 vom 12. Februar 2021 (BGBl. I 2021, 237 ff.) wurde diese Regelung unter engen Voraussetzungen letztmals bis 30. April 2021 verlängert. Verständlich für einen durchschnittlich vorgebildeten Geschäftsleiter sind all diese Regelungen nicht. Verstößt er dagegen, so hat er strafrechtliche Verfolgung gem. § 15a InsO und zivilrechtliche Haftung gem. § 15b InsO (s. dazu Thole, BB 2021, 1347 [in diesem Heft]) zu gegenwärtigen.
Die nun vorliegenden Zahlen für das Jahr 2020 mit 15 841 eröffneten Unternehmensinsolvenzverfahren sind nicht nur so niedrig wie seit Einführung der Insolvenzordnung nicht mehr, sondern liegen auch um beachtliche 15,5 % unter der Vorjahreszahl von 18 749 Unternehmensinsolvenzverfahren im Jahre 2019. Die Veröffentlichung des Statistischen Bundesamtes (Fachserie 2 Reihe 4.1 [https://www.destatis.de/DE/Service/Bibliothek/_publikationen-fachserienliste-2.html]) zeigt auch noch weitere interessante Entwicklungen: So sind im Jahre 2020 187 895 Arbeitnehmer und rund 44,07 Mrd. Euro Gläubigerforderungen von diesen Insolvenzverfahren betroffen. Im Jahre 2019 waren mit 143 666 Arbeitnehmern und rund 26,76 Mrd. Euro Forderungen deutlich geringere wirtschaftliche Folgen zu verzeichnen. Wie hoch letztlich die Befriedigungsquote in diesen wenigen noch verbliebenen Verfahren sein wird, wissen wir noch nicht. Aus der aktuellsten zur Verfügung stehenden Auswertung des Statistischen Bundesamtes für 2018 ergibt sich, dass die Befriedigungsquote für die Gläubiger im Durchschnitt in Unternehmensinsolvenzverfahren 6,1 % beträgt. Die Statistiken zeigen zudem, dass bislang eine Sanierung nur selten gelingt. Bei den bis zum 31. Dezember 2018 beendeten Insolvenzverfahren erfolgte nach Angaben des Statistischen Bundesamtes bei 18 368 beendeten Insolvenzverfahren lediglich in 828 Fällen eine Sanierung. Der bisherige Rechtsträger konnte in nur 273 Fällen erhalten werden. Bei allen anderen “Sanierungsfällen” dürfte es sich um “übertragende Sanierungen” oder ähnliche Gestaltungen gehandelt haben.
Aktuell steht im Fokus, ob das SanInsFoG mit der Einführung des Unternehmensstabilisierungs- und Restrukturierungsgesetzes (StaRUG) und den umfassenden Änderungen in der Insolvenzordnung das geeignete Instrumentarium bereithält, die Zahl der gelungenen Sanierungen von Unternehmen spürbar zu steigern. An dieser Stelle soll nicht im Einzelnen auf das Restrukturierungsverfahren eingegangen werden (vgl. dazu Gehrlein, BB 2021, 66 ff.; Giese/Jungbauer, BB 2020, 2679 ff.; Desch, BB 2020, 2498 ff.). Verlässliche Zahlen zum praktischen Anwendungsbereich liegen nicht vor, was aber auch nicht verwundert, da diese Verfahren als “Geheimverfahren” ausgestaltet sind. Gerade die Sanierungsmoderation ist auf eine schnelle und diskrete Herbeiführung eines Sanierungsvergleichs gerichtet. Aber auch das Restrukturierungsverfahren bedarf keiner Öffentlichkeit, zumindest dann, wenn der Kreis der in dieses Verfahren einzubeziehenden Gläubiger überschaubar ist. Die Bestellung von Sanierungsmoderatoren und Restrukturierungsbeauftragten wird von den Restrukturierungsgerichten nicht veröffentlicht, so dass alle Informationen aus dem Kreis der Beteiligten stammen. Die Börsenzeitung berichtete am 20. April 2021, dass es erst wenige vorinsolvenzliche Sanierungen nach dem StaRUG gebe. Nach Angaben der Wirtschaftswoche, ebenfalls vom 20. April 2021, wurde ein international tätiges Hamburger Logistikunternehmen nach StaRUG gerettet. Der Insolvenzrichter Andreas Schmidt (AG Hamburg) teilte am 17. Mai 2021 auf einer Tagung mit, ihm seien bundesweit fünf Verfahren bekannt.
Zunächst bleibt aber abzuwarten, ob das “klassische” Insolvenzverfahren wieder stärker in Anspruch genommen wird, nicht allein zum Zwecke der dringend erforderlichen Marktbereinigung, sondern auch zur Sanierung und Restrukturierung im Schutzschirm- und Insolvenzplanverfahren. Noch immer ist die Zahl der Unternehmensinsolvenzen nach wie vor historisch niedrig. Das Statistische Bundesamt teilte für Januar 2021 31,1 % weniger Unternehmensinsolvenzen und für Februar 2021 21,8 % weniger Unternehmensinsolvenzen als im jeweiligen Vorjahresmonat mit. Dies wird sich auch nach dem Auslaufen der Aussetzung der Antragspflicht so lange nicht ändern, wie die Politik die Unternehmen in trügerischer Sicherheit wiegt.
Prof. Dr. Jens M. Schmittmann, RA/FAHaGesR/FAInsR/FAStR/StB, lehrt an der FOM Hochschule für Oekonomie und Management Essen Allgemeine Betriebswirtschaftslehre, Wirtschafts- und Steuerrecht und ist Chefredakteur der Zeitschriften Betriebs-Berater und Der Steuerberater.