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BB 2024, I
Ruttloff/Wagner 

Klarstellung durch den BGH: “Klimaneutral” gleich “emissionsfrei”?

– Oder: Wann und wie sind Erläuterungen von Umweltaussagen erforderlich

Abbildung 1

Abbildung 2

Der Maßstab für die Erläuterungen von ausdrücklichen Umweltaussagen im Wandel.

Der BGH hat mit seinem Urteil vom 27.6.2024 (I ZR 98/23, BB 2024, BB 1665 f., Ls.) eine wichtige Klarstellung zur Verwendung von Umweltschutzbegriffen in der Werbung vorgenommen. Die Entscheidung befasst sich damit, unter welchen Umständen Werbeaussagen wie “klimaneutral” zulässig oder irreführend sind und somit Unterlassungsansprüche nach §§ 8 Abs. 1 S. 1, 3 Abs. 1, 5 Abs. 1 UWG begründen können. Der BGH stellt heraus, dass Werbeaussagen, die Umweltschutzbegriffe verwenden, in der Regel umfangreiche Erläuterungen erfordern. Auch wenn der BGH naturgemäß nur nach der aktuell maßgeblichen Gesetzeslage entscheiden kann, deutet die künftige europäische Rechtsentwicklung zu der Frage, in welcher Form diese Erläuterungen erfolgen müssen, bereits in eine andere Richtung.

Der BGH bezieht sich in seiner Urteilsbegründung auf seine ständige Rechtsprechung, insbesondere im Bereich der gesundheitsbezogenen Werbung (vgl. BGH, 20.10.1988 – I ZR 219/87, BGHZ 105, 277 – Umweltengel). Für die Beurteilung einer Werbeaussage komme es maßgeblich darauf an, wie der durchschnittlich informierte und verständige Verbraucher diese bei Anwendung einer der Situation angemessenen Aufmerksamkeit verstehe (Rn. 22 ff.).

Diese strengen Anforderungen an die Richtigkeit, Eindeutigkeit und Klarheit von Werbeaussagen werden auch auf Umweltschutzbegriffe angewandt. Der BGH sieht in der Werbung mit Umweltschutzbegriffen eine erhöhte Irreführungsgefahr und ein zunehmendes Aufklärungsbedürfnis, auch da das Umweltbewusstsein der Verbraucher gestiegen sei, aber zugleich Unklarheiten bezüglich der Bedeutung der verwendeten Begriffe bestünden. Zudem könnten sich die umweltbezogenen Aussagen auf das beworbene Produkt insgesamt, nur Teilbereiche oder deren bessere Umweltleistung im Verhältnis gegenüber vergleichbaren anderen Waren beziehen. Schließlich verfüge das breite Publikum regelmäßig nur über einen geringen Wissenstand über die notwendigen naturwissenschaftlichen Zusammenhänge und Wechselwirkungen (Rn. 25 f.).

In der konkreten Entscheidung erkennt der BGH an, dass der Begriff “klimaneutral” sowohl die Vermeidung von CO2-Emissionen als auch die Kompensation von CO2 umfasst. Das Berufungsurteil habe jedoch die strengen Anforderungen an die Richtigkeit, Eindeutigkeit und Klarheit und das Aufklärungsbedürfnis der Verbraucher nicht ausreichend gewürdigt. Bei der Verwendung mehrdeutiger Begriffe sei der konkrete Bedeutungsgehalt bereits in der Werbung selbst eindeutig klarzustellen (Rn. 28 f.).

Besonders hervorgehoben wird der Kontext, in dem der Begriff “klimaneutral” mit dem beworbenen Produkt verwendet wurde. Obwohl auf eine Kooperation mit einem “Klimapartner”, der entsprechende Kompensationsleistungen über zu erwerbende Zertifikate zum Ausgleich der verursachten CO2-Emissionen als Teil seiner Dienstleistung erbringe, und dessen Website hingewiesen wurde, auf der sein Leistungsangebot nachzulesen sei, sah das Revisionsgericht die Darstellungen als nicht ausreichend an, um nachvollziehbar zu machen, in welchem Umfang CO2-Emissionen bereits im Rahmen des Produktionsprozesses vermieden oder durch sonstige Maßnahmen kompensiert werden. Zudem sei unklar, ob sich die “Klimaneutralität” auf das gesamte Unternehmen oder nur auf das beworbene Produkt beziehen sollte (Rn. 34 f.).

Eine besondere Qualität der vorstehenden Aussagen des BGH ergibt sich aus dem abschließenden, eher formalen Begründungsansatz. Hiernach seien aufgrund der besonders strengen Maßstäbe für die Richtigkeit, Eindeutigkeit und Klarheit umweltbezogener Werbeaussagen jedenfalls solche aufklärenden Hinweise ohne Bedeutung, die der Verbraucher erst durch eigene Tätigkeit ermitteln müsse. Es sei schließlich weder vom Berufungsgericht festgestellt worden noch sonst ersichtlich, ob aus räumlichen Gründen für eine Verlagerung der erforderlichen Hinweise auf ein anderes Medium, wie eine verlinkte Website, überhaupt Veranlassung bestanden habe (Rn. 36).

Damit wären umweltbezogene Werbeaussagen für Produkte praktisch in sehr vielen Fällen kaum umsetzbar, wenn sämtliche aufklärenden Hinweise über dasselbe Medium wie die eigentliche Werbung selbst transportiert werden müssten. Anders sehen dies die künftigen Vorgaben der Green Claims Directive. Dort ist nach dem aktuellen Entwurfsstand in Art. 5 ausdrücklich die Möglichkeit vorgesehen, “Informationen über das Produkt oder den Gewerbetreibenden, das bzw. der Gegenstand der ausdrücklichen Umweltaussage ist, und über die Begründung . . . zusammen mit der Aussage in physischer Form oder in Form eines Weblinks, eines QR-Codes oder in ähnlicher Form zur Verfügung zu stellen.” Der BGH scheint demgegenüber in seiner aktuellen Entscheidung entsprechende zusätzliche Informationen über Weblinks oder QR-Codes – jedenfalls bezogen auf den dort geprüften Irreführungstatbestand – nicht als allgemein geeignete und gleichwertige Möglichkeit zur Bereitstellung erläuternder Informationen anzusehen. In Anbetracht der gegenwärtigen Gesetzeslage und der unionsrechtlichen Dynamik dürfte es sich folglich um eine höchstrichterliche Entscheidung handeln, die nur eine überschaubar kurze Halbwertszeit haben dürfte.

Dr. Marc Ruttloff (li.), RA, ist Partner bei Gleiss Lutz an den Standorten Stuttgart und Berlin. Er berät in den Bereichen Regulatory, Öffentliches Wirtschaftsrecht und Regulierte Industrien. Schwerpunkte seiner Tätigkeit sind insbesondere die Beratung zu Fragen der ESG-Compliance sowie der Product Compliance.

Prof. Dr. Eric Wagner (re.), RA, ist Partner bei Gleiss Lutz am Standort Stuttgart. Er berät in den Bereichen Commercial, Disputes und neue Technologien. Schwerpunkte seiner Tätigkeit sind insbesondere Fragen der ESG-Compliance sowie der Produkthaftung und -Compliance.

 
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