EU-Dienstleistungspaket – Verbesserungen nun auch beim Notifizierungsverfahren möglich
Vor zwei Jahren stellte die EU-Kommission ihr sog. Dienstleistungspaket vor. Darin schlug sie die Einführung einer europäischen Dienstleistungskarte, die Schaffung einer verbindlichen Ex-ante-Verhältnismäßigkeitsprüfung beim Erlass berufsrechtlicher Regelungen und ein verschärftes Notifizierungsverfahren mit Blick auf geplante nationale berufsrechtliche Regelungen vor. Die Dienstleistungskarte scheiterte, was zu begrüßen ist, weil sie de facto zur Einführung des Herkunftslandprinzips im Binnenmarkt für freiberufliche Leistungen und damit zur Gefahr von Qualitätsminderungen geführt hätte. Die Verhältnismäßigkeitsprüfung wurde beschlossen, was akzeptabel ist, weil sie abgemildert wurde. Bis zuletzt umstritten war und ist indes das Notifizierungsverfahren. Aber auch hier bahnt sich möglicherweise eine Entwicklung zum Guten an.
Zur Erinnerung: Die EU-Kommission will die Mitgliedstaaten verpflichten, ihr den beabsichtigten Erlass berufsrechtlicher Regelungen vorab mitzuteilen, um die geplanten nationalen Vorschriften auf ihre Vereinbarkeit mit Europarecht zu überprüfen. Dabei sah der ursprüngliche Kommissionsvorschlag (COM(2016) 821 final) vor, dass die Kommission dem Mitgliedstaat das In-Kraft-Setzen der geplanten Regelung hätte verbieten können. Sie hätte also nationale Parlamente an einer entsprechenden Gesetzgebung hindern können. Der Mitgliedstaat hätte seine Regelung vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) quasi freiklagen müssen.
Die steuerberatenden Berufe stehen uneingeschränkt zu Europa. Hier aber sahen sie Gefahr im Verzug. Unmittelbar, nachdem die Kommission ihre Vorstellungen öffentlich gemacht hatte, kritisierte der Deutsche Steuerberaterverband (DStV) diese bereits in Schreiben an Bundesministerien und EU-Gremien. Er sah einen Verstoß gegen EU-Recht und einen Eingriff in die legitimen Rechte der Mitgliedstaaten. Auch der Bundesverband der Freien Berufe (BFB) kritisierte, dass das Prinzip, wonach die EU-Kommission als “Hüterin der Verträge” erst ex post tätig werden darf, und zwar im Rahmen von Vertragsverletzungsverfahren, durch den Vorschlag der Kommission umgekehrt werde. Bundestag und Bundesrat erhoben Subsidiaritätsrügen gegen den Vorschlag der Kommission, die jene allerdings nicht sonderlich beeindruckten.
In Gesprächen mit EU-Kommissar Günther Oettinger appellierte DStV-Präsident StB/WP Harald Elster, die Kompetenzordnung der EU einzuhalten. Trotzdem kam es im Rat der EU im Mai 2017 zur Verabschiedung einer sog. Allgemeinen Ausrichtung, mit welcher der Rat die Vorschläge der Kommission jedenfalls teilweise akzeptierte, nämlich in Bezug auf die (besonders bedeutsamen) Regelungen, die in den Anwendungsbereich des Art. 15 Abs. 2 der Dienstleistungsrichtlinie aus dem Jahre 2006 (2006/123/EG) fallen. Eine solche Allgemeine Ausrichtung legt das Verhandlungsmandat für die sog. Trilogverhandlungen zwischen Rat, Parlament und EU-Kommission fest. Normalerweise wird sie nicht mehr verändert; wenn es doch geschehen soll, ist dafür Einstimmigkeit unter den Mitgliedstaaten erforderlich.
Der DStV ließ sich dadurch nicht entmutigen und führte ab Juni 2017 Gespräche mit hohen EU-Parlamentariern und im August mit Bundesfinanzminister Olaf Scholz. Der DStV unterbreitete auch einen eigenständigen Kompromissvorschlag (einstweiliger Rechtsschutz), mit dem einerseits die Rechte der EU-Kommission hätten gestärkt werden können, mit dem andererseits aber auch die Befugnisse der Mitgliedstaaten gewahrt worden wären. Nach gemeinsamen Eingaben mit der Bundesteuerberaterkammer (BStBK) warb der DStV auf dem Single Market Forum am 9.11.2017 gegenüber der zuständigen EU-Kommissarin Elzbieta Bienkowska erneut für seine Position. Weitere Eingaben und Gespräche folgten. Schließlich beantragte Deutschland auf Initiative des Bundeswirtschaftsministeriums in der zuständigen Ratsarbeitsgruppe ein Gutachten des juristischen Dienstes des Rates der EU, das nach einigem Hin und Her zu dem Ergebnis führte, welches der DStV immer für richtig gehalten und für das er im Rahmen seiner Kontakte zu Berufsorganisationen in anderen EU-Mitgliedstaaten nachhaltig geworben hatte, nämlich dass es ein verbindliches Beschlussrecht der EU-Kommission nicht geben könne.
Dem Vernehmen nach hat sich die zuständige Ratsarbeitsgruppe nunmehr für ein sog. verschärftes Empfehlungsrecht ausgesprochen. Für dieses soll eine qualifizierte Mehrheit in der Arbeitsgruppe bestehen. Rumänien, das ab Januar den Vorsitz im Rat führt, soll mitgeteilt haben, dass es die neue Ausrichtung im Ausschuss der Ständigen Vertreter zur Abstimmung stellen wird.
Beim dem verschärften Empfehlungsrecht soll die EU-Kommission in Bezug auf eine notifizierte Maßnahme lediglich eine Empfehlung annehmen können. Sollte der Mitgliedstaat der Empfehlung nicht folgen, müsste er seine Entscheidung vor einem neu einzuführenden Expertengremium rechtfertigen, ohne aber an einem In-Kraft-Setzen der Regelung gehindert zu sein. Die EU-Kommission müsste ein Vertragsverletzungsverfahren einleiten.
Der weitere Verlauf bleibt abzuwarten. Eine das Europarecht respektierende Lösung scheint nun aber möglich.
Prof. Dr. Axel Pestke, RA/FAStR, ist Hauptgeschäftsführer des Deutschen Steuerberaterverbandes (DStV), Berlin.