Das dritte Geschlecht im Arbeitsleben
Das BVerfG hat am 10.10.2017 (1 BvR 2019/16) betont, dass das allgemeine Persönlichkeitsrecht auch die geschlechtliche Identität schützt. Dieser Schutz ist nicht auf das männliche und das weibliche Geschlecht beschränkt, sondern steht auch solchen Personen zu, die dauerhaft weder dem männlichen noch dem weiblichen Geschlecht zuzuordnen sind. Der Gesetzgeber hat nun Zeit bis Ende 2018, dafür Sorge zu tragen, dass sich Angehörige dieses “dritten Geschlechtes” im Personenstandsrecht positiv zu ihrem Geschlecht bekennen können. Das hat auch Auswirkungen auf das Arbeitsleben und auf arbeitsrechtliche Regelungen.
Zunächst fällt einem dabei natürlich die “Toilettenfrage” ein. Nach der ArbeitsstättenVO, den Technischen Regeln für Arbeitsstätten (ASR) und diversen berufsgenossenschaftlichen Vorgaben sollen für männliche und weibliche Beschäftigte getrennte Räumlichkeiten eingerichtet werden. Hier müsste es künftig zur Vermeidung der Diskriminierung des dritten Geschlechtes zu einer Erweiterung der Vorgaben kommen.
Daneben gibt es aber auch weniger augenfällige Themen. 2018 stehen die nächsten Betriebsratswahlen an. Das Wahlrecht hat Geschlechtsbezug: Nach § 15 BetrVG soll das Minderheitsgeschlecht im Betriebsratsgremium mindestens so stark vertreten sein wie in der Belegschaft. In der Regel dürfte das dritte Geschlecht das Minderheitsgeschlecht sein, sofern dem Betrieb auch nur eine dem dritten Geschlecht zuzurechnende Person angehört. Der Gesetzgeber wird das “dritte Geschlecht” aber erst zur Wahlperiode 2022 personenstandsrechtlich anerkennen. Was gilt also für die Betriebsratswahlen 2018? Der Gesetzeswortlaut des BetrVG ist schließlich nicht auf männlich/weiblich beschränkt, sondern bezieht sich nur auf das “Minderheitsgeschlecht”; erst in der Wahlordnung (WO) wird auf männliche und weibliche Bewerber verwiesen. Das dritte Geschlecht an sich existiert aber. Mithin dürften Wahlvorstände zur Vermeidung einer grundgesetzwidrigen Diskriminierung von Angehörigen des dritten Geschlechtes dazu gezwungen sein, ab sofort von der Existenz dreier Geschlechter auszugehen und die Vorbereitung und Durchführung der Wahl danach auszurichten. Demnach muss der Wahlvorstand eruieren, ob wahlberechtigte Mitarbeiter des Betriebes dem dritten Geschlecht angehören und – falls ja – die dem dritten Geschlecht als Minderheitsgeschlecht im Betrieb zustehenden Betriebsratssitze allokieren. Entsprechend ist bei der Auszählung vorzugehen. Mutmaßlich wird es nicht in vielen Betrieben Arbeitnehmer geben, die sich – wegen der Betriebsratswahl – erstmals als dem dritten Geschlecht angehörig offenbaren. Kommt es gleichwohl dazu, wird dies nur selten direkt Auswirkungen auf die Betriebsratszusammensetzung haben; es wird mutmaßlich nur wenige Angehörige des dritten Geschlechtes geben, so dass es nach dem d'Hondtschen Höchstzahlverfahren oft gar nicht dazu kommt, dass ein Sitz im Betriebsrat von einem Angehörigen dieses dritten Geschlechtes zu besetzen ist. Allerdings führt dieselbe Situation dann dazu, dass Angehörige der anderen Geschlechter nicht mehr Minderheitsgeschlecht sind und folgerichtig auch auf keine entsprechende Repräsentation im Gremium pochen können. Eine unberechtigte Berücksichtigung des Geschlechtes mit den zweitwenigsten Angehörigen im Betrieb könnte einen schweren Verstoß gegen die Wahlvorschriften darstellen und zur Anfechtung der Wahl berechtigen.
Überdies kann man sich die Frage stellen, ob und wie Angehörige des dritten Geschlechtes derzeit im Betrieb beweisen wollen/sollen/dürfen, dass sie tatsächlich dem dritten Geschlecht angehören. Personenstandsrechtlich haben sie insoweit jedenfalls einen Startnachteil gegenüber den weiblichen und männlichen Arbeitnehmern – bei diesen ist das Geschlecht im Pass zu entnehmen. Soll es Aufgabe der Wahlvorstände sein, eine “Geschlechtsüberprüfung” durchzuführen? Soll es umgekehrt genügen, wenn ein Wahlbewerber sich als Angehöriger des dritten Geschlechtes offenbart? Auch dies könnte man angesichts der gravierenden Auswirkungen auf den demokratischen Willensbindungsprozess und die Erfolgschancen der Stimmen für diesen Kandidaten bezweifeln.
Faktisch wird es wohl in den allermeisten Betrieben keine Auswirkungen der Entscheidung des BVerfG geben. Die Entscheidung sollte allerdings Anlass dafür sein, § 15 Abs. 2 BetrVG und §§ 5, 15 Abs. 5 WO BetrVG 1972, also die Unterscheidung zwischen Wahlkandidaten nach deren Geschlecht, nochmals zu überdenken. Auch wenn das BAG dies 2005 (Beschl. v. 16.3.2005 – 7 ABR 40/04) anders gesehen hat, eine Ungleichbehandlung von Bewerbern ausschließlich aufgrund ihres Geschlechtes widerspricht dem demokratischen Grundverständnis und den Art. 3, 33 GG. Es wäre schön, wenn der Gesetzgeber dieses Thema anlässlich der nunmehrigen Entscheidung der BVerfG unter Beachtung der erheblichen europa- und verfassungsrechtlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des geschlechtsbezogenen Eingriffs in die Erfolgsgleichheit von Stimmen bei der Betriebsratswahl neu regelt und den Geschlechtsbezug aus den Gesetzen streicht.
Bernd Weller, RA/FAArbR, ist Partner der Sozietät Heuking Kühn Lüer Wojtek PartGmbB und leitet das arbeitsrechtliche Dezernat in Frankfurt/Main. Er berät deutsche und internationale Mandanten auf Arbeitgeberseite in allen Fragen. Seit Jahren liegt sein besonderer Beratungsschwerpunkt in allen betriebsverfassungsrechtlichen Themen – Restrukturierungen, Verhandlungen mit dem Betriebsrat sowie die Vertretung seiner Mandanten von Einigungsstellen und allen deutschen Gerichten einschließlich des BAG.