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CB-Standpunkte
10.12.2020
CB-Standpunkte
Corona und Compliance: Besondere Herausforderungen des Jahres 2020

Auch für Compliancebeauftragte hielt das Corona-Jahr 2020 besondere Herausforderungen bereit. Augenfällig war und ist die neue Situation des Home-Offices, die den Compliancebeauftragten zum einen den so wichtigen persönlichen Kontakt zu den Mitarbeitern verwehrt, zum anderen aber auch dem Missbrauch von außen Vorschub leistet durch die eingeschränkte Sicherheit der Technik im Home-Office. Immerhin hat sich der Trend für die Durchführung von internen Ermittlungen aus der Ferne per „remote“ weiterentwickelt. Sofern dies in technisch sicheren Bereichen verläuft, gewiss eine Erleichterung.

Apropos interne Ermittlungen: Auch für den normalen Compliancebetrieb hielt das Jahr 2020 für alle Praktiker besondere Herausforderungen bereit. Insbesondere die aktuelle Initiative des Gesetzgebers, das VerSanG, ist ein weiteres Kapitel im großen Buch „Das Gegenteil von gut gemacht ist gut gemeint“. Zahlreiche Beiträge von Praktikern aus Unternehmen, von Rechtsanwälten, aber auch Strafverfolgungsbehörden konnten den Gesetzgeber von seinem Irrweg zu einem weiteren wenig hilfreichen Gesetz nicht abhalten.

Schließlich hat uns alle das Spiegelbild unternehmerischer Compliance, also die Frage nach der Rechtstreue der staatlichen Institutionen, umgetrieben. Zahlreiche Urteile der Verwaltungsgerichte, die unverhältnismäßige Coronamaßnahmen aufhoben, zeugen von nicht so guter Governance. Naturgemäß hat hier der Compliancefreund eine besondere Betrachtungsweise. Anhand der Umsetzung und Durchsetzung von Coronamaßnahmen kann man exemplarisch beobachten, was die Erfolgsfaktoren für die Einhaltung von beschränkenden Regeln sind. Jeder gute Compliancebeauftragte weiß: Generalverdacht, erhobener Zeigefinger und wenig nachvollziehbare Beschränkungen des Arbeitsalltags sind das Paradebeispiel für schlechte Kommunikation und verhindern die Akzeptanz von Compliance. Entscheidend für eine nachhaltige Umsetzung von Compliance ist immer die Einbindung aller Beteiligten und vor allem die nachvollziehbare Erklärung, welches Ziel und welchen Zweck Einschränkungen haben. Man kann sehr deutlich sehen, was Menschen zum Regelbruch verleitet. Aber auch, dass Regeltreue im eigenen Interesse sein kann und nicht von oben verordnet werden muss. Anders als in Unternehmen, bei denen die Zugehörigkeit der Mitarbeiter freiwillig ist, steht dem Bürger nicht die Möglichkeit offen, ein Unternehmen, das seinen Compliance-Vorgaben nicht entspricht, zu verlassen. Dies führt – wie man vielerorts sieht – zu erheblichen Friktionen. Kleinere Gesetzesübertretungen werden im Hinblick auf die Coronamaßnahmen weniger geduldet, als dies zuvor auf staatlicher Ebene oder in Unternehmen der Fall war. Freilich führt die strenge Durchsetzung von Verboten durch Ordnungsbehörden und Mitbürger gerade nicht zu mehr Akzeptanz.

Interessant ist auch die unterschiedliche Akzeptanz von Compliance-Maßnahmen im Hinblick auf Hinweisgeberstellen. In Unternehmen ist dies ein effizientes und akzeptiertes Instrumentarium, sofern deutlich gemacht wird, dass es dabei nicht um Denunziantentum geht, sondern darum, Schaden vom Unternehmen und allen Beteiligten abzuwenden. Demgegenüber führte der Aufruf eines Landkreises, Mitbürger bei Verstößen gegen Coronavorgaben bei der örtlichen Corona-Hotline anzuzeigen zu Recht auf erhebliche Ablehnung. Auch hier sieht man sehr deutlich, wie unterschiedlich Vorschriften in einem Unternehmen und auf staatlicher Ebene akzeptiert und durchgesetzt werden.

Welche Auswirkungen werden Corona und die Maßnahmen für die Compliancepraxis haben? In Zeiten des Umbruchs und in wirtschaftlichen Krisensituationen nimmt Wirtschaftskriminalität zu. Das gilt nicht nur für Angriffe von außen. Sind Mitarbeiter nicht sicher, wie lange sie ihren Job behalten, steigt die Neigung, dieses wirtschaftliche Risiko durch alternative Maßnahmen auszugleichen, rasant. Neuartige Complianceverstöße und der Umgang mit krisenmotivierten Innentätern werden uns gewiss noch lange beschäftigen.

Dr. Malte Passarge


Zum Autor:

Dr. Malte Passarge ist Rechtsanwalt und Fachanwalt für Handels- und Gesellschaftsrecht und Partner in der Kanzlei HUTH DIETRICH HAHN Rechtsanwälte PartGmbB, Vorstand des Instituts für Compliance im Mittelstand (ICM) und Geschäftsführer von Pro Honore e. V. sowie Chefredakteur des Compliance-Beraters.

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