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CB-Standpunkte
08.05.2015
CB-Standpunkte
Dipl.-Pol. Annegret Falter: Zum Stand der Debatte um gesetzlichen Whistleblowerschutz

Seit 2008 wurden dem Deutschen Bundestag und der Öffentlichkeit vier Gesetzentwürfe und zwei Entschließungsanträge zum Whistleblowerschutz vorgelegt. 2009, 2012 und zuletzt im März 2015 haben rund drei Dutzend Experten und Verbände in drei Ausschuss-Anhörungen dazu Stellung bezogen. Insoweit wurden die Pro- und Contra-Argumente von allen Seiten beleuchtet. Die Fronten zwischen Befürwortern und Gegnern einer gesetzlichen Regelung sind verhärtet. Aber womöglich wurde bei der letzten Anhörung doch eine leichte Annäherung der Standpunkte erreicht. Besteht also eine Hoffnung, dass die aktuellen Gesetzesinitiativen in dieser Legislaturperiode nicht wieder sang- und klanglos in der Versenkung verschwinden? Das wäre im wohlverstandenen gesellschaftlichen Eigeninteresse zu wünschen.

Das Fehlen verlässlicher rechtlicher Regelungen zum Whistleblowerschutz in Deutschland bedeutet, dass potentielle Whistleblower angesichts der Rechtsunsicherheit, mit der sie konfrontiert sind, vor möglichen Konsequenzen ihres Whistleblowing zurückschrecken. Ihnen drohen die Behinderung ihrer Karriere, Mobbing und Ausgrenzung im Betrieb, öffentlicher Reputationsverlust und letztlich der Verlust des Arbeitsplatzes. Angesichts dieses Szenarios ziehen es viele Insider vor, wegzuschauen und „den Mund zu halten“. Damit bleiben zum einen ggf. schwerwiegende Missstände, Rechtsbrüche und Gefahren sowohl im privatwirtschaftlichen als auch im öffentlichen Bereich unaufgedeckt und es wird eine Chance vertan, Schaden von einem Unternehmen, einer Organisation oder Behörde frühzeitig abzuwenden. Hierfür gibt es Beispiele zu Hauf. Zum anderen werden Mitarbeiter – und das sind Bürger und Bürgerinnen am Arbeitsplatz – daran gehindert, ihr Grundrecht auf Meinungsäußerungsfreiheit wahrzunehmen.

In der Fachliteratur ist weitgehend unstrittig, dass eine Horizontalwirkung des Grundrechts der Meinungsäußerungsfreiheit im Beschäftigungsverhältnis besteht. Die Meinungsäußerungsfreiheit des Arbeitgebers ist nicht größer als die des Arbeitnehmers. Die dem Arbeitgeber arbeitsvertraglich geschuldete Rücksichtsnahme-Pflicht des Arbeitnehmers impliziert nicht dessen „Nibelungentreue“ und die Vernachlässigung seiner Verantwortung und Loyalität gegenüber der Gesellschaft (D. Deiseroth, Richter am BVerwG). Um die aber geht es beim Whistleblowing. Whistleblower handeln häufig im öffentlichen Interesse im Sinne der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR), im bekannten Whistleblower-Fall der Altenpflegerin Brigitte Heinisch vom 21.7.2011. Ein Gesetz würde in solchen Fällen mehr Rechtssicherheit und mehr Rechtsklarheit für alle Betroffenen bringen und eben genau verhindern, dass Whistleblower sich durch alle deutschen Instanzen zum EGMR durchkämpfen müssen, um zu ihrem Recht zu kommen.

Immerhin gab es bei der erwähnten letzten Anhörung vor dem Ausschuss für Arbeit und Soziales Ansätze bei Vertretern der Wirtschaft nicht auf dem Standpunkt zu verharren, die bestehende Rechtslage zusammen mit freiwilligen betriebsinternen Hinweisgebersystemen böten hinreichenden Whistleblowerschutz. Hier sei die Stellungnahme der Daimler-AG zitiert, in der zwar der Vorrang innerbetrieblicher Hinweisgebersysteme gegenüber einer Wahlmöglichkeit des Whistleblowers unter „zuständigen Stellen“ weiter favorisiert wird. Gleichzeitig wird aber empfohlen, „dass Unternehmen ab einer bestimmten Größenordnung (z. B. ab 10 000 Mitarbeiter) gesetzlich (Hervorhebung d. Verf.) zu einer solchen Einrichtung verpflichtet werden. Kleinere Unternehmen, die nicht verpflichtet sind, eine solche Einrichtung zu schaffen, haben – ggfs. noch zu schaffende – gemeinschaftliche Hinweisgebersysteme, z. B. bei der Industrie und Handelskammer, zu nutzen.“ Dies lässt sich auch demokratiepolitisch als – kleiner – Schritt in die richtige Richtung bezeichnen.

In der aktuellen Demokratiedebatte herrscht weitgehend Einigkeit, dass demokratische Normen nicht auf einen engen Bereich staatlichen Handelns („government“) und die darauf bezogenen Bürgerrollen zu beschränken sind. In dem Maße, wie in die Ausgestaltung öffentlicher Aufgaben und die Erbringung entsprechender Dienstleistungen Akteure der Zivilgesellschaft und der Wirtschaft einbezogen werden, vom bürgerschaftlichen Engagement bis zur CSR – eine starke Tendenz, die in den letzten Jahrzehnten als „governance“ thematisiert wird –, steigen auch in diesen Bereichen die demokratischen Anforderungen an Transparenz und öffentliche Rechenschaftslegung. Hier kommt dem Abbau von Hürden, gerade auch der Erleichterung des Whistleblowing, jenseits seiner konkreten Wirkungen im Einzelfall eine wichtige Signalwirkung zu.

Dipl.-Pol. Annegret Falter ist Journalistin und Mitglied des Vorstands von Whistleblower-Netzwerk e.V. Sie war Sachverständige bei der Anhörung zum neuen Entwurf eines Whistleblowerschutz-Gesetzes.

 

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