R&W Abo Buch Datenbank Veranstaltungen Betriebs-Berater
 
CB-Standpunkte
19.05.2014
CB-Standpunkte
Der Fall des ADAC: Whistleblowing als Allheilmittel?

Der Fall des ADAC ist ein Beispiel, an dem sich der Reputationsverlust eines Unternehmens nach dem Gang eines Mitarbeiters an die Öffentlichkeit infolge der Presseberichterstattung zeigt. Vorab sei angemerkt: Mit den folgenden Ausführungen sollen keinerlei Aussagen über die Rechtmäßigkeit oder Rechtswidrigkeit der in die Öffentlichkeit getragenen Vorwürfe oder über die inzwischen in den Medien dargestellten Handlungen einzelner Personen des ADAC getroffen werden. Welche Dynamik sich aber in derartigen Fällen ergeben kann, zeigen die Vorwürfe über die Manipulationen bei dem Autopreis „Gelber Engel“ gleichwohl.

Helfen Whistleblowing-Systeme in vergleichbaren Fällen, um negative Folgen für ein Unternehmen zu vermeiden? Relevant sind sie u. a. für deutsche Tochterunternehmen US-amerikanischer Unternehmen und für deutsche Unternehmen, die in den USA z. B. an der NYSE gelistet sind. Nicht nur im Interesse der Vermeidung einer Haftung der Organe einer Gesellschaft, sondern auch um prüfen zu können, ob sich Mitarbeiter regelkonform verhalten, ist es generell für alle Unternehmen wichtig, möglichst frühzeitig von Regelverstößen Kenntnis zu erlangen. Missstände können dann zeitnah beseitigt werden oder Handlungen ergriffen werden, um weitere Verstöße zu verhindern.

Wegweisend war im Hinblick auf die Handlungsmöglichkeiten eines Arbeitgebers gegenüber pflichtwidrig handelnden Mitarbeitern der von dem EGMR entschiedene Fall von Frau Heinisch. Frau Heinisch arbeitete als Altenpflegerin und erstattete nach mehreren Aufforderungen an ihren Arbeitgeber, dieser solle die aus ihrer Sicht gegebenen Missstände bei der Pflege beseitigen, eine Strafanzeige gegen ihren Arbeitgeber. Das Unternehmen kündigte Frau Heinisch außerordentlich fristlos, nach Ausschöpfung aller Rechtsmittel landete der Fall vor dem EGMR. Der EGMR sah Frau Heinisch im Recht und hielt die ihr gegenüber ausgesprochene Kündigung für unwirksam. Was kann aus diesem Fall für die Praxis gelernt werden? Zunächst bleibt eine Kündigung nach Whistleblowing nicht ausgeschlossen. Im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung ist aber insbesondere zu prüfen, ob z. B. der Gang an die Öffentlichkeit von einem öffentlichen Interesse begleitet wird, hinter das das wirtschaftliche Interesse eines Unternehmens zurücktreten muss. Der Schutz der Meinungsfreiheit, der sich hinter einem Gang an die Öffentlichkeit i. d. R. verberge, verdiene besonderen Schutz. Gleichwohl muss auch berücksichtigt werden, hierbei handelt es sich im Übrigen auch um einen generellen Vorwurf gegenüber Whistleblowing-Systemen, ob nicht wissentlich oder leichtfertig eine entsprechende Anzeige erstattet wurde. Bei Whistleblowern, die das System z. B. missbräuchlich zum Nachteil eines Kollegen nutzen, kann dies u. U. sogar zu einer Kündigung des eigenen Arbeitsverhältnisses führen. Bedeutung für die Verhältnismäßigkeit einer Kündigung hat aber auch die Frage, ob der Arbeitnehmer für ihn in zumutbarer Weise versucht hat, die Missstände innerbetrieblich – z. B. gerade im Rahmen der Nutzung eines Whistleblowing-Systems – anzuzeigen.

Rechtliche Hürden müssen Whistleblowing-Systeme i. d. R. auch überwinden: Je nach Ausgestaltung werden personenbezogene Daten des Beschuldigten und in der Regel auch des Whistleblowers gespeichert. Dies bedarf einer Rechtfertigung nach dem BDSG. Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 Nr. 1 und 6 BetrVG können ebenfalls bestehen. Das macht die Einführung von Whistleblowing-Systemen nicht immer einfach. Ob Whistleblowing-Systeme genutzt werden oder abschreckende Wirkung haben, ist letztlich eine Frage ihrer Ausgestaltung. Einwendungen gegen Whistleblowing-Systeme wie z. B. eine Verschlechterung der Betriebsatmosphäre wegen eines befürchteten Denunziantentums oder ein Missbrauch anlässlich persönlicher Rachefeldzüge können durchaus berechtigt sein. Wie der Fall des ADAC aber zeigt, liegt der Vorteil eines Whistleblowing-Systems in der Möglichkeit, etwaige Unzulänglichkeiten innerhalb eines Unternehmens frühzeitig aufzuklären, zu sanktionieren und weiteren Schaden von dem Unternehmen abzuhalten. Ein Gang an die Öffentlichkeit kann dadurch u. U. vermieden werden. Letztlich ist es aber auch hier wie bei allen Compliance-Maßnahmen: Nach ihrer Einführung muss ihre Einhaltung überwacht werden. Zugleich unerlässlich ist die kontinuierliche Weiterentwicklung der eingeführten Compliance-Maßnahmen. Nur dann wird sich ein effektives System entwickeln, mit dem etwaige Verstöße frühzeitig aufgeklärt werden können und die Haftung für die verantwortlichen Organe vermieden werden kann.

 

Dr. Markus Diepold ist Fachanwalt für Arbeitsrecht und Partner bei der Kanzlei Dentons. Er ist spezialisiert auf die Beratung von nationalen und internationalen Unternehmen in allen Fragen des individuellen und kollektiven Arbeitsrechts sowie in der Prozessführung in allen Instanzen.

Kommentare (Kommentieren)

Wir sind stets um Qualität bemüht. Deshalb wird Ihr Beitrag erst nach kurzer Prüfung durch unsere Redaktion sichtbar sein.

Ihre E-Mail-Adresse wird niemals veröffentlicht oder verteilt. Benötigte Felder sind mit * markiert

stats