OLG Schleswig-Holstein: Voraussetzungen einer Deliktshaftung des Vorstandes einer Anlagevermittlungsgesellschaft
OLG Schleswig-Holstein, Urteil vom 23.5.2013 – 5 U 140/12
Amtliche Leitsätze
1. Nicht alle Normen des WpHG sind als Schutzgesetze i. S. d. § 823 Abs. 2 BGB anzusehen. Ein Bedürfnis, auch unmittelbar von den Organen eines Wertpapierdienstleistungsunternehmens oder seinen Angestellten Schadenersatz verlangen zu können, ist nicht anzuerkennen, weil die Aufsichtsbehörden, die Bußgeldtatbestände des WpHG und die vertraglichen Schadenersatzpflichten des Wertpapierdienstleistungsunternehmen für einen effektiven Schutz der Anleger sorgen.(Rn.37)
2. Der Vorstand einer Anlagevermittlungsgesellschaft haftet, wenn er bei riskanten Geschäften die Kunden bewusst über Risiken und verminderte Gewinnchancen ungenügend aufklärt bzw. diese bewusst verharmlost hat.(Rn.41) Hinsichtlich der allgemein notwendigen organisatorischen Vorkehrungen zur Sicherstellung einer ordnungsgemäßen Beratung trifft den Vorstand zunächst die sekundäre Darlegungslast.(Rn.42)
3. Eine obligatorische Risikoaufklärung der Kunden in Schriftform ist erst mit § 31 Abs. 3 Satz 4, Abs. 3a WpHG durch das Anlegerschutz- und Funktionsverbesserungsgesetz vom 5. April 2011 in das Gesetz aufgenommen worden.(Rn.45) Es hätte die Anforderungen an einen telefonischen Vertrieb von Vermögensanlagen und die Möglichkeit telefonischer Order überspannt, wenn grundsätzlich nur eine rechtzeitige Aufklärung des Kunden in Schriftform zulässig gewesen wäre.(Rn.47)
4. Die Regelung in § 31d Abs. 1 und Abs. 3 WpHG n. F. erlaubt dem Wertpapierdienstleistungsunternehmen, den Kunden lediglich eine Zusammenfassung der wesentlichen Bestandteile der Zuwendungsvereinbarungen vorzulegen, wenn zugleich die Offenlegung weiterer Einzelheiten angeboten und gewährt wird. Es reicht deshalb aus, den Kunden in allgemeiner Art die Quellen der Zuwendungen zu nennen und deren Höhe in einer gewissen Bandbreite mitzuteilen.(Rn.56)
5. Ob eine Extraaufklärung beim Erwerb Wertpapieren über die fehlende Teilnahme an der Einlagensicherung erforderlich ist, hängt vom Anlageprofil und dem Anlageziel des Kunden ab. Wenn der Anleger bereits umfassend, z. B. über ein Totalverlustrisiko aufgeklärt worden ist, ist eine gesonderte Aufklärung über den fehlenden Schutz durch den Einlagensicherungsfonds nicht mehr erforderlich, weil der Hinweis auf ein Totalverlustrisiko denklogisch bereits die Information eines fehlenden anderweitigen Sicherungsmechanismus beinhaltet. (Rn.61)
BGB § 823 Abs. 2 S. 1, § 826;WpHG § 31 Abs. 3 S. 1, Abs. 3a S. 1, Abs. 4 S. 1
Sachverhalt
Die Kläger nehmen die Beklagten zu 1. und 2. als (ehemalige) Vorstände des Wertpapierdienstleistungsunternehmens X-AG wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung auf Schadenersatz in Anspruch.
Die Beklagten (A und B) waren alleinige Vorstände der A & B Wertpapierhandelshaus AG, die zunächst in X-Wertpapierhandelshaus AG und nachfolgend in X-AG (im Folgenden durchgängig: X-AG) umfirmierte. Die Gesellschaft war zunächst eine 100%-ige Tochter der 2005 gegründeten A & B AG, einer Holdinggesellschaft. Ursprünglich waren die Beklagten Alleinaktionäre und alleinige Vorstände dieser Holdinggesellschaft, bis sie im Rahmen eines Börsenganges im Jahre 2006 insgesamt 26,8 % der Anteile abgaben. Die verbleibenden Anteile hielten beide weiterhin hälftig. Im Jahr 2008 veräußerte die A & B AG sodann zwei Prozent der Anteile an der X-AG an einen Dritten. Im Laufe des Jahres 2010 schied der Beklagte B als Vorstand der X-AG aus, über deren Vermögen im September desselben Jahres das Insolvenzverfahren eröffnet wurde.
Geschäftsfelder der X-AG, die bis zu 30 Berater beschäftigte, waren zum einen die Anlageberatung und zum anderen die Vermögensverwaltung. Ihre über 70 000 Kunden, davon zeitweilig über 30 000 gleichzeitig, warb sie insbesondere mit Hilfe eines so genannten ZinsPlusKontos, einem Tagesgeldkonto bei der D-bank AG, welches für beschränkte Zeit einen über dem Marktzins liegenden, von der X-AG gegenüber der D-bank AG subventionierten Zinsertrag bot. Auch die Depotkonten der Kunden wurden von der D-bank AG geführt.
Die Kunden der X-AG zahlten für die in aller Regel telefonische und jeweils vollständig aufgezeichnete Beratung kein Honorar. Nur im Bereich der Vermögensverwaltung erhob die X-AG von den Anlegern eine Gebühr. Erträge erwirtschaftete sie insbesondere durch Provisionen der Emittenten, mit denen regelmäßig Vertriebsvereinbarungen bestanden. Für Käufe und Verkäufe von Wertpapieren über die Börse erhob außerdem die D-bank AG bankübliche Kauf- bzw. Verkaufsprovisionen, von denen sie einen erheblichen Teil an die X-AG weiterleitete.
Die Kurse vieler durch die X-AG vermittelter Wertpapiere, vornehmlich Anleihen und Genussscheine bestimmter kleinerer Unternehmen, brachen ein. Über das Vermögen einzelner Emittenten wurde das Insolvenzverfahren eröffnet. Beginnend etwa Mitte 2009 wurde die X-AG vor diesem Hintergrund durch eine Vielzahl von Anlegern gerichtlich wegen fehlerhafter Anlageberatungen in Anspruch genommen. Insgesamt waren am zuständigen Landgericht I. über 400 Klagen anhängig.
Die Kläger eröffneten Ende 2006 ein verzinsliches Tagesgeldkonto bei der X-AG. Ab Mitte April 2007 fanden verschiedene Beratungsgespräche zwischen dem Kläger zu 1. und dem Berater, Herrn E., statt. Der Inhalt der Gespräche ist im Einzelnen streitig. Nach jeweiliger Beratung zeichneten die Kläger folgende Kapitalanlagen:
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17.4.2007 |
Salvator-Inhabergenussscheine |
6 766,19 Euro |
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11.5.2007 |
Salvator-Inhabergenussscheine |
5 752,89 Euro |
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17.7.2007 |
Adviser II Wertpapiere |
20 047,08 Euro |
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19.7.2007 |
Salvator-Inhabergenussscheine |
7 857,84 Euro |
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23.7.2007 |
CCG Inhaber Teilschuldverschreibungen |
10 324,58 Euro |
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24.7.2007 |
Captura Wertpapiere |
20 000,00 Euro |
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25.7.2007 |
Cargofresh Inhaber Teilschuldverschreibungen |
25 277,85 Euro und 15 166,71 Euro |
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30.8.2007 |
D & B-Inhabergenussscheine |
20 497,19 Euro |
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10.4.2008 |
L & S Wertpapiere |
10 230,90 Euro |
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29.8.2008 |
L & S Wertpapiere |
9 996,74 Euro |
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24.7.2008 |
Inhaber-Teilschuldverschreibungen HPE |
20 830,74 Euro |
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28.7.2008 |
Captura Wertpapiere |
14 970,00 Euro |
Insgesamt wendeten die Kläger für die Anschaffung der Wertpapiere 187 718,71 Euro auf.
Am 22.12.2008 wurden folgende Papiere verkauft:
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Adviser II Wertpapiere |
6 915,61 Euro |
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CCG Inhaber Teilschuldverschreibungen |
4 358,55 Euro |
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Captura Wertpapiere |
15 274,00 Euro und 13 492,92 Euro |
Dabei wurde ein Verkaufserlös von insgesamt 40 040,79 Euro erzielt.
Die Differenz in Höhe von 147 677,92 Euro machen die Kläger als Schadenersatz geltend.
Am 12.5.2007 unterzeichnete die Klägerin zu 2. einen Risikoanalysebogen mit dem sie dem „Anlegertyp 3“ zugeordnet wurde. Als Anlageziel wurde angegeben:
„Meine Ertragserwartungen gehen über das marktübliche Zinsniveau hinaus, die Risikobereitschaft ist gesteigert. …“
Zwischen den Parteien ist streitig, ob der Berater E. über die mit den Anlagen verbundenen Risiken – insbesondere auch das Emittentenrisiko – ausreichend aufgeklärt hat. Die Kläger haben behauptet, die Beklagten hätten in ihrer Eigenschaft als Vorstände der X-AG sowie Mehrheitsgesellschafter der Holding „A & B AG“ die Kundenberater systematisch zu einer fehlerhaften Anlageberatung veranlasst bzw. es in der Folgezeit schuldhaft unterlassen, die erkannte systematische Falschberatung zu korrigieren. Sie hätten eine Schädigung der Anleger billigend in Kauf genommen.
Die Kläger haben beantragt, die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an sie
1. die Beklagten zu 1. und 2. samtverbindlich zu verurteilen, an sie 147 677,92 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz des BGB hieraus seit dem 28.5.2010 zu bezahlen – Zug um Zug gegen Übertragung der Rechte der Kläger an den Salvator-Inhabergenussscheinen mit der WKN … i. H. v. nominal 19 500,00 Euro, den Cargofresh Inhaber Teilschuldverschreibungen mit der WKN … i. H. v. nominal 40 000,00 Euro, den D & B-Inhabergenussscheinen mit der WKN … i. H. v. nominal 20 000,00 Euro, 200 L & S Wertpapieren mit der WKN … und den Inhaberteilschuldverschreibungen der der HPE AG mit der WKN … i. H. v. nominal 21 000,00 Euro;
2. festzustellen, dass sich die Beklagten mit der Annahme der Gegenleistung in Annahmeverzug befinden;
3. die Beklagten weiter zu verurteilen, an sie vorgerichtliche Kosten in Höhe von 4 927,79 Euro zu bezahlen.
Die Beklagten haben beantragen, die Klage abzuweisen.
Das Landgericht hat mit dem angefochtenen Urteil vom 25.9.2012 die Klage abgewiesen.
Das Landgericht hat zur Begründung u. a. ausgeführt, dass die behauptete vorsätzliche systematische Falschberatung durch die Anlageberater der X-AG und eine entsprechende Kenntnis der Beklagten nicht bewiesen sei. Wegen der Einzelheiten wird auf den Inhalt der angefochtenen Entscheidung vollumfänglich Bezug genommen. Wegen der Einzelheiten des erstinstanzlichen Vortrags wird auf die erstinstanzlich gewechselten Schriftsätze nebst allen Anlagen Bezug genommen.
Dagegen richtet sich die form- und fristgerechte Berufung der Kläger, mit der diese geltend machen, die angefochtene Entscheidung verneine fehlerhaft ein vorsätzliches Organisationsverschulden im Zusammenhang mit einer – auch nach den Feststellungen des Landgerichts – unterbliebenen generellen Weisung an die Berater, stets im Vorwege den Anlegern ein Prospekt in Papierform zu übersenden. Im Übrigen verneine die angefochtene Entscheidung ein vorsätzliches Organisationsverschulden im Zusammenhang mit der Nichtaufklärung über Provisionen. Soweit eine Nichtaufklärung über eine Risikoerhöhung beim Wechsel vom Tagesgeldkonto zur Zeichnung von Unternehmensanleihen in Frage stehe, unterlasse es das Landgericht rechtsfehlerhaft von der Feststellung, dass durch die Berater vielfach Risiken verharmlost worden seien, darauf zu schließen, dass dieses aufgrund einer entsprechenden Weisung geschehen sei. Rechtsfehlerhaft verneine die angefochtene Entscheidung ferner die Nichteinhaltung von Verhaltensregeln nach §§ 31 ff. WpHG.
Ergänzend machen die Kläger erstmals mit der Berufung geltend, die Beklagten würden auch deshalb haften, weil sie es unterlassen hätten, die erkanntermaßen systematisch fehlerhaft durchgeführte Beratung zu korrigieren. So habe es von Beginn an Kundenbeschwerden gegeben, die sich Anfang 2008 gehäuft hätten. Im Mai habe es kritische Medienberichte zu einer systematischen Falschberatung gegeben. Zudem seien die Beklagten dafür verantwortlich, dass ihre Berater den Kapitalanlegern wegen der besonderen Marktenge und eines sog. Klumpenrisikos von vornherein ungeeigneten Kapitalanlagen empfohlen hätten. Ebenso seien die Berater zur Vermittlung erkanntermaßen nicht werthaltiger Anlagen angewiesen worden. Schließlich hätten es die Beklagten unterlassen, die Berater anzuweisen, den Anlegern notleidender Kapitalanlagen bei fallenden Kurswerten deren Veräußerung zu empfehlen.
Die Kläger beantragen, das angefochtene Urteil aufzuheben und
I. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an die Kläger 147 677,92 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz des BGB hieraus seit 28.5.2010 zu bezahlen – Zug um Zug gegen Übertragung der Rechte der Kläger an den Salvator-Inhabergenussscheinen mit der WKN … i. H. v. nominal 19 500,00 Euro, den Cargofresh Inhaber Teilschuldverschreibungen mit der WKN … i. H. v. nominal 40 000,00 Euro, den D & B-Inhabergenussscheinen mit der WKN … i. H. v. nominal 20 000,00 Euro, 200 L & S Wertpapieren mit der WKN … und den Inhaberteilschuldverschreibungen der der HPE AG mit der WKN …. i. H. v. nominal 21 000,00 Euro.
II. Es wird festgestellt, dass sich die Beklagten mit der Annahme der Gegenleistung im Annahmeverzug befinden.
III. Die Beklagten werden weiter verurteilt, an die Kläger vorgerichtliche Kosten in Höhe von 4 927,79 Euro zu zahlen.
Die Beklagten beantragen, die Berufung zurückzuweisen.
Sie verteidigen die angefochtene Entscheidung unter Wiederholung und Vertiefung früheren Vorbringens und heben insbesondere hervor, dass sich im Zuge der umfänglichen Beweisaufnahme die klägerischen Behauptungen ausnahmslos nicht bewahrheitet hätten.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens zweiter Instanz wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 23.5.2013 verwiesen.
Aus den Gründen
►
II. Die zulässige Berufung hat keinen Erfolg.
Zutreffend ist das Landgericht davon ausgegangen, dass der gegen die Beklagten gerichtete Schadenersatzanspruch nicht bewiesen ist.
►
1. Anspruch aus § 823 Abs. 2 S. 1 BGB i. V. m. Schutzgesetz §§ 31 ff. WpHG a. F.
Insoweit ist bereits nicht nachvollziehbar dargelegt, ob und inwieweit hier eine Verletzung der §§ 31 ff. WpHG a. F. vorliegt. Weitreichende Änderungen und Erweiterungen des Anlegerschutzes sind erst durch das Finanzmarktrichtlinieumsetzungsgesetz (FRUG) vom 16.7.2007 (BGBl. I 2007, 1330) in das WpHG eingeführt worden. Diese Änderungen sind erst seit dem 1.11.2007 in Kraft getreten und betreffen deshalb jedenfalls nicht die streitgegenständlichen Kapitalanlagen aus dem Jahr 2007 (d. h. die ersten 8 der insgesamt 12 im Tatbestand aufgeführten Anlagen). Zu den von ihr pauschal gerügten Verstößen gegen das WpHG im Hinblick auf die restlichen vier Anlagen verhält sich die Berufungsbegründung nicht.
Überdies haben nicht alle Normen des WpHG drittschützenden Charakter. Zwar bezwecken die §§ 31 ff. WpHG a. F. auch den Anlegerschutz, viele Vorschriften sind jedoch nicht als Schutzgesetze i. S. d. § 823 Abs. 2 BGB anzusehen (BGH vom 22.6.2010, ZIP 2010, 1433 und vom 19.12.2006 – XI ZR 56/09 hinsichtlich der §§ 32, 34 WpHG a. F.). Ein Bedürfnis, auch unmittelbar von den Organen des Wertpapierdienstleistungsunternehmens oder seinen Angestellten Schadenersatz verlangen zu können, ist nicht anzuerkennen, weil für einen effektiven Schutz der Anleger sowohl die Aufsichtsbehörden, die Bußgeldtatbestände des WpHG und die vertraglichen Schadenersatzpflichten des Wertpapierdienstleistungsunternehmens sorgen würden (vgl. Assmann/Schneider-Koller, WpHG, 6. Aufl. vor § 31 RdNr. 7 u. a. m. H. a. Schäfer, WM 2007, 1872, 1875 ff.). Die Frage, ob ein Organ eines Wertpapierdienstleistungsunternehmens unmittelbar aus § 823 Abs. 2 BGB wegen fehlerhafter Beratung etc. in Anspruch genommen werden kann, stellt sich nach den §§ 31 ff. WpHG ohnehin nicht mehr, da sich diese nunmehr ausschließlich an Wertpapierdienstleistungsunternehmen richten (Assmann/Schneider-Koller, a. a. O., m. H. a. Ekkenga in MüKo HGB, Band V, Effektengeschäft, Rz. 288).
►
2. Anspruch aus § 826 BGB
Die angefochtene Entscheidung verneint zutreffend einen Schadensersatzanspruch gegen die Beklagten wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung (§ 826 BGB).
Dabei kann mit dem Landgericht dahingestellt bleiben, ob im Falle der Kläger zum Schadensersatz verpflichtende Beratungspflichtverletzungen vorliegen und den Klägern ein Schaden in der behaupteten Höhe erwachsen ist. Die Beklagten haften jedenfalls nicht nach § 826 BGB für unterstellte Beratungsfehler.
Ein Anlageberater, der vorsätzlich eine anleger- und/oder objektwidrige Empfehlung abgibt und die Schädigung des um Rat fragenden Anlegers zumindest billigend in Kauf nimmt, ist dem Anleger wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung zum Schadenersatz verpflichtet (vgl. BGH vom 22.6.1992, WM 1992, 1812, 1823 und vom 13.7.2004, WM 2004, 1768, 1769; KK-WpHG/Möller, § 32 RdNr. 100 m. w. N.). Wird die Empfehlung aufgrund grob fahrlässigen Verhaltens leichtfertig in unrichtiger Weise abgegeben, ist sie dann als sittenwidrig zu werten, wenn sie erkennbar für die Entschließung des Anlegers von Bedeutung ist und in Verfolgung eigener Interessen in dem Bewusstsein einer möglichen Schädigung des Anlegers abgegeben wird (BGH Urteil vom 22.6.1992 – II ZR 178/90, WM 1992, 1812, 1823 m. w. N.). Die pflichtwidrig unterlassene Aufklärung allein genügt nicht, es sei denn, der Berater schweigt trotz Kenntnis der Chancenlosigkeit der Anlage (BGH WM 2010, 2256). Der Vorstand einer Vermittlungsgesellschaft haftet auch dann, wenn er bei riskanten Geschäften die Kunden bewusst über Risiken und verminderte Gewinnchancen ungenügend aufklärt bzw. diese bewusst verharmlost (BGH NJW-RR 2006, 627) und wenn er den Geschäftsabschluss veranlasst und bewusst nicht verhindert hat (BGH NJW 2002, 2777, NJW 2004, 203-206; vgl. Palandt-Sprau, BGB, 72. Aufl., § 826 RdNr. 30 m. w. N.).
Die Berufung erschöpft sich im Wesentlichen in der Wiederholung des erstinstanzlichen Vortrags und in der Behauptung, die über Festgeldanlagen gewonnenen Kunden der X-AG seien unter systematischer und planmäßiger Falschberatung und fehlender Abfrage ihrer Risikobereitschaft in riskante Vermögensanlagen vermittelt worden. Zu Recht ist das Landgericht davon ausgegangen, dass die Kläger nicht bewiesen haben, dass die Beklagten in ihrer Eigenschaft als Vorstände der X-AG vorsätzlich Falschberatungen der Kunden – mithin auch der Kläger – veranlasst und zurechenbar billigend in Kauf genommen hätten. Hinsichtlich der allgemein notwendigen organisatorischen Vorkehrungen zur Sicherstellung einer ordnungsgemäßen Beratung trifft zwar grundsätzlich zunächst die Beklagten eine sekundäre Darlegungslast. Dieser sind sie jedoch umfänglich – teilweise unter Beweisantritt – nachgekommen. Sache der Kläger war es damit, diesen Vortrag zu widerlegen und das Fehlen entsprechender Maßnahmen oder aber ihre Ungeeignetheit zu beweisen. Diesen Nachweis haben die Kläger jedoch nicht zu führen vermocht.
Im Einzelnen:
►
a) Übersendung der Emissionsprospekte
Der Ansicht der Kläger, über Struktur und Risiken der von der X-AG vertriebenen Kapitalanlagen (Genussscheine, Anleihen, Schuldverschreibungen, Aktien und Zertifikate) habe wegen der Komplexität grundsätzlich nur schriftlich aufgeklärt werden können, kann nicht gefolgt werden. Eine entsprechende schriftliche Information war zum Zeitpunkt der streitgegenständlichen Beratungen (April 2007 bis Juli 2008) weder nach §§ 31 ff. WpHG a. F. noch nach der Rechtsprechung gefordert. Entsprechende schriftliche Informationspflichten nach § 31 Abs. 3 S. 4, Abs. 3a WpHG n. F. sind erst mit dem Anlegerschutz- und Funktionsverbesserungsgesetz vom 5.4.2011 (BGBl. I 2011, 538) in das Gesetz eingeführt worden.
Die Entscheidung des Landgerichts Düsseldorf vom 29.9.2011 (Az. 8 O 506/10) betrifft einen anderen Sachverhalt. Dort ging es um die Frage der hinreichenden Aufklärung des Kunden durch die Emittentin (EF AG, eine nicht börsennotierte Schweizer Aktiengesellschaft mit Sitz in der Schweiz), die durch angestellte Telefonverkäufer über unselbständige Niederlassungen in Deutschland u. a. eigene Aktien an Privatanleger veräußerte. Es handelte sich mithin um den Verkauf von Papieren einer ausländischen Aktiengesellschaft, für die kein geregelter Handel bestand. Weil die wirtschaftlichen Zusammenhänge einer solchen Gesellschaft schwierig seien und die mit der Anlage verbundenen Risiken für den Anleger weder geläufig noch überschaubar seien und weil darüber hinaus wegen des fehlenden geregelten Handels Manipulationsmöglichkeiten bestanden, hat das LG Düsseldorf unter Berufung auf eine Entscheidung des OLG Düsseldorf vom 11.5.2009 (Az. I-9 U 175/08) eine schriftliche Aufklärungspflicht gefordert.
Hier hingegen hat die X-AG lediglich börsennotierte Wertpapiere (Unternehmensanleihen und Genussscheine) oder aber Hausprodukte (Investmentfonds und Zertifikate) vertrieben. Zudem würde es die Anforderungen an einen telefonischen Vertrieb und die telefonische Order von Vermögensanlagen überspannen, wenn nur eine rechtzeitige Aufklärung des Kunden in Schriftform zulässig wäre.
Im Übrigen ist durch die Beweisaufnahme in dem Parallelprozess LG I. ….. das Gegenteil bewiesen … (wird weiter ausgeführt).
►
b) Nichtaufklärung über Provisionen
Eine Aufklärung über Existenz, Art und Umfang von Zuwendungen Dritter („Provisionen“) ist erst mit Wirkung zum 1.11.2007 in das Gesetz (§ 31d WpHG) aufgenommen worden (Finanzmarktlinieumsetzungsgesetz FRUG vom 16.7.2007, BGBl. I 2007, 1330). Die hier streitgegenständlichen Anlageberatungen fanden zum größten Teil (8 von 12 Anlagen) hingegen vor in Kraft treten dieser Vorschrift statt. Im Übrigen (d. h. hinsichtlich der streitgegenständlichen Anlagen aus dem Jahr 2008) sind die Kläger rechtzeitig über die Zahlung von Provisionen und Rückvergütungen am 23.11.2007 mit dem Merkblatt „Allgemeine Informationen für Kunden über Zuwendungen“ aufgeklärt worden.
Über die Höhe von Innenprovisionen ist nur aufzuklären, wenn die Innenprovision einen gewissen Schwellenwert erreicht, der mehr als 15 % der Beteiligungssumme ausmacht (BGH vom 12.2.2004 – III ZR 359/02, WM 2004, 631, 635). Das ist hier nicht der Fall. Die Kläger behaupten insoweit nicht einmal, dass die X-AG Provisionen in aufklärungspflichtiger Höhe erhalten habe.
Die „Kick-back“-Rechtsprechung des für die Bankenhaftung zuständigen XI. Zivilsenats des BGH ist auf freie, bankungebundene Anlageberater – zu denen auch die X-AG gehörte – nicht zu übertragen (BGH Beschluss vom 9.3.2011, WM 2011, 925 ff.; Schlick, Die aktuelle Rechtsprechung des III. Zivilsenats des BGH zum Kapitalanlagerecht, WM 2011, 154, 158). Den bankungebundenen, freien Berater trifft keine (ungefragte) Aufklärungspflicht über Provisionen, da der Anleger bei solchen Beratungen – anders als bei Banken – von einer durch den Produktanbieter „eingepreisten“ Vergütung ausgehen und er deshalb deren Höhe erfragen muss, wenn sie ihn interessiert (BGH, Urteil vom 15.4.2010 – III ZR 196/09, BGHZ 185, 185 RdNr. 13).
Die Aufklärung über Provisionen genügte im Übrigen auch den aufsichtsrechtlichen Anforderungen des WpHG a.F.. Zum Zeitpunkt der streitgegenständlichen Anlageberatung bis einschließlich August 2007 enthielten die Allgemeinen Geschäftsbedingungen folgenden allgemeinen Hinweis:
„... WPH ist berechtigt, von anderen Unternehmen anteilige Zahlungen, von den durch das Unternehmen an den Kunden in Rechnung gestellten Kosten, in Empfang zu nehmen, sowie Geldzahlungen und andere geldwerte Vorteile in Empfang zu nehmen, die im wirtschaftlichen Zusammenhang mit Kundengeschäften stehen. WPH wird dem Kunden auf dessen Wunsch Auskunft über die entsprechenden Zahlungen anderer Unternehmen erteilen, sofern der Kunde diese Produkte und Dienstleistungen nutzt.“
Im Zusammenhang mit der Novellierung des WpHG durch das FRUG vom 16.7.2007 (BGBl. I 2007, 1330) zum 1.11.2007 wurden – wie dem Senat aus vielen anderen Verfahren bekannt ist – den Bestandskunden der X-AG im Herbst 2007 umfassende Informationen über Zuwendungen in Form einer Rahmenvereinbarung übersandt. Das war hier auch mit der Rahmenvereinbarung vom 23.11.2007 der Fall. Außerdem wurde das Amt eines Zuwendungsbeauftragten eingeführt (in Person des Zeugen P.), der den Kunden auf Nachfrage zu konkreten Zuwendungen Auskunft geben sollte.
Im Übrigen verkennen die Kläger auch den Umfang der Aufklärung über Zuwendungen nach neuem Recht. Gemäß § 31 d Abs. 1 Nr. 2 WpHG n. F. müssen zwar „Existenz, Art und Umfang der Zuwendung … in umfassender, zutreffender und verständlicher Weise deutlich offengelegt“ werden, die Regelung in § 31 d Abs. 3 WpHG n. F. erlaubt dem Wertpapierdienstleistungsunternehmen jedoch, dem Kunden lediglich eine Zusammenfassung der wesentlichen Bestandteile der Zuwendungsvereinbarungen vorzulegen, wenn zugleich die Offenlegung weiterer Einzelheiten angeboten und gewährt wird. Es reicht deshalb aus, den Kunden in allgemeiner Art die Quellen der Zuwendungen zu nennen und deren Höhe in einer gewissen Bandbreite mitzuteilen (vgl. Hartmann/Schneider-Koller, WpHG, 6. Aufl., § 31 d RdNr. 48 m. w. N.).
Wollte man im Übrigen strengere Anforderungen an die Offenlegung von Zuwendungen Dritter an Wertpapierdienstleistungsunternehmen stellen, wäre die Pflichtverletzung jedenfalls nicht vorsätzlich im Sinne von § 826 BGB … (wird weiter ausgeführt).
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c) Risikoerhöhung bei dem Wechsel der Kunden vom Tagesgeldkonto zum Zins-Kombikonto
Diese Behauptung ist nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme widerlegt. Die Beweisaufnahme hat ergeben, dass die Berater der X-AG sehr wohl gehalten waren, die Kunden vor Zeichnung der Wertpapiere über die entsprechenden produktbezogenen Risiken aufzuklären und vor Zeichnung eine Abfrage der Risikobereitschaft und Kenntnis des Kunden durchzuführen….(wird weiter ausgeführt).
Eine gesonderte Hinweispflicht des Anlageberaters über die fehlende Einlagensicherung beim Erwerb von Wertpapieren im Rahmen des Zins-Kombi Kontos bestand nicht. Zum einen stellt das Zins-Kombi Konto nur eine Kombination von Geldanlage auf Bankkonto und Wertpapieranlage im Depot dar. Es versteht sich von selbst, dass Depotanlagen (Aktien, Fondsanteile, Anleihen, Zertifikate etc.) nicht von der gesetzlichen Einlagensicherung umfasst sind, da diese lediglich von der Bank verwahrt werden und im Insolvenzfall nicht in ihrem Eigentum verbleiben.
Im Übrigen hängt es vom Anlageprofil und Anlageziel des Kunden ab, ob eine Extraaufklärung beim Erwerb Wertpapieren über die fehlende Teilnahme an der Einlagensicherung erforderlich ist. Das Erfordernis eines zusätzlichen Hinweises zum Umfang des Einlagensicherungsschutzes kann nämlich nur dann bestehen, wenn bei einem Anleger überhaupt die Vorstellung bestanden haben könnte, dass die empfohlene Anlage diesem Schutz unterliegen könnte. Wenn der Anleger bereits umfassend, z. B. über ein Totalverlustrisiko aufgeklärt worden ist, ist eine gesonderte Aufklärung über den fehlenden Schutz durch den Einlagensicherungsfonds nicht mehr erforderlich, weil der Hinweis auf ein Totalverlustrisiko denklogisch bereits die Information eines fehlenden anderweitigen Sicherungsmechanismus beinhaltet (OLG München vom 14.7.2010, WM 2010, 2115-2118). Dass aber ein gebotener Hinweis über das Totalverlustrisiko nach dem Willen der Beklagten und entsprechender Weisungen an die Berater hat unterbleiben sollen, haben die Kläger nicht nachzuweisen vermocht. Da damit aber in den meisten Fällen einer anlagegerechten Beratung sich ein gesonderter Hinweis auf das Fehlen einer Sicherungseinrichtung als entbehrlich erweist, waren die Beklagten nicht zu einer generellen Weisung an die Berater verpflichtet. Überdies musste den Anlegern durch die höhere Risikoklassifizierung (Risikostufe 3 bzw. 4) im Rahmen des Produkts „Zins-Kombikonto“ auch klar gewesen sein, dass – nicht zuletzt auch im Hinblick auf die höhere Rendite – mit dem neuen Anlageprodukt auch ein höheres Risiko verbunden war.
►
d) Nichteinhaltung allgemeiner Verhaltensregeln nach § 31 WpHG a. F.
Auf die Regelung in § 31 Abs. 4 WpHG n. F. (gültig ab 1.11.2007) zur Einholung von Kundeninformationen vor Abgabe einer Anlageempfehlung können sich die Kläger nur hinsichtlich ihrer Anlagen aus dem Jahr 2008 berufen.
Insoweit hat die Beweisaufnahme jedoch ergeben, dass die X-AG entsprechenden Pflichten zur Einholung von Kundeninformationen nachgekommen ist. An diese Feststellung ist der Senat gebunden. …. (wird weiter ausgeführt).
Auch der weitere Ansatz der Kläger, die X-AG habe mit den Werbeschreiben unter Verstoß gegen § 31 Abs. 2 WpHG a. F. systematisch ungeeignete Anlagen empfohlen, steht nicht durch. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob tatsächlich in der überwiegenden Zahl der Fälle, die mit Auslaufen des Tagesgeldes werbemäßig angebotenen Unternehmensanleihen nicht den Risikoprofilen der Anleger entsprachen. Der Senat hat bereits in anderer Sache (vgl. 5 U 25/11) entschieden, dass eine solche Praxis nicht die Annahme eines sittenwidrigen Geschäftsmodells trägt. Zwar sollen die über Tagesgelder gewonnenen Kunden nach dem Auslaufen der Tagesgelder für andere, nicht notwendig deren ursprünglichen Anlagezielen entsprechende Produkte gewonnen werden, jedoch steht solches unter dem ausdrücklichen Vorbehalt ordnungsgemäßer Beratung. Entsprechend stellt sich das werbemäßige Angebot von Unternehmensanleihen an – unterstellt – risikoscheue Anleger nicht als unzulässig dar, wenn denn in dem nachfolgenden Beratungsgespräch eine zutreffende Risikoaufklärung erfolgt und sich der Kunde auf deren Grundlage von früheren Anlagezielen abrückend für ein bestimmtes Anlageprodukt entscheidet und den Analysebogen entsprechend korrigieren lässt.
Es mag zwar sein, dass nach dem Geiste des Gesetzes (§ 31 Abs. 2 WpHG a. F. bzw. § 31 Abs. 4 WpHG n. F.) idealtypisch im Rahmen einer objektiven Anlageberatung primär eine individuelle, auf den Kunden passende Risikoanalyse zu erstellen ist und erst danach eine produktbezogene Beratung zu erfolgen hat. Dabei kommt es jedoch auch auf die konkrete Beratungssituation an. Wenn – wie hier – Kunden zunächst werbemäßig auf ein bestimmtes Produkt aufmerksam gemacht werden, ist es per se nicht zu beanstanden, dass zunächst im Rahmen der Beratung über das Produkt informiert wird und erst anschließend eine kundenspezifische Risikoanalyse mit der Erstellung eines bestimmten Risikoprofils vorgenommen wird.
Auch im Rahmen einer Gesamtschau gibt es keine Anhaltspunkte dafür, dass auf Weisung der Beklagten systematisch fehlberaten und insbesondere Risiken verschwiegen worden wären. Soweit vorstehend Vortrag als unsubstantiiert angesehen worden ist, war ein Hinweis nach § 139 ZPO entbehrlich. Der Senat hat bereits in den Verfahren 5 U 33/12 und 5 U 42/12 über im Wesentlichen gleichlautende Berufungen gegen im Wesentlichen gleichlautende Urteile des Landgerichts I. entschieden; auch in diesen beiden Verfahren sind die klagenden Anleger von den Prozessbevollmächtigten der hiesigen Kläger vertreten worden.
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e) Übergehen von Beweisanträgen: Zeugenbeweis
Bei den von den Klägern mit der Klagschrift angebotenen 60 Zeugen handelt es sich um geschädigte Anleger, die sich entweder an die Klägervertreter gewandt oder selbst die X-AG bzw. die Anlegerberater gerichtlich auf Schadenersatz in Anspruch genommen haben. Eine entsprechende Beweisaufnahme wäre unerheblich, denn selbst wenn man die Behauptung als wahr unterstellt, dass die zeugenschaftlich benannten Anleger alle tatsächlich falsch beraten wurden, lässt dies vor dem Hintergrund, dass die X-AG insgesamt bis zu 45 000 Kunden hatte, keinen zwingenden Schluss darauf zu, dass es tatsächlich eine systematische Falschberatung gegeben hat. Bei den Zeugen handelt es sich nämlich nicht um eine zufällig ausgewählte Stichprobe aus dem gesamten Anlegerpool. Zudem ist aus einer Mehrzahl von Verfahren gerichtsbekannt, dass es auch Klagen gegen die X-AG gegeben hat, die selbst nach Durchführung der Berufungsinstanz ohne Erfolg geblieben sind (vgl. Urteil des Senats vom 20.6.2012 – 5 U 151/11). Ergänzend wird auch auf die staatsanwaltschaftliche Abschlussverfügung vom 3.6.2010 Bezug genommen, die zahlreiche Einstellungsbescheide zum Gegenstand hat. Auch die hohe Zahl der Klagen gegen die X-AG beim Landgericht I. (mehr als 400 Verfahren geschädigter Anleger) lässt nicht den zweifelsfreien Schluss zu, dass es sich hier um ein organisiertes System von Falschberatungen handelte. Schließlich ist die fachgerechte Schulung von Mitarbeitern durch die Beweisaufnahme bewiesen
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3. Vorsatz
Zum Vorsatz im Sinne von § 826 BGB gehört, dass der Schädiger spätestens im Zeitpunkt des Schadenseintritts die Art und Richtung des Schadens und die Schadensfolgen vorausgesehen (kognitives Element) und die Schädigung im Sinne eines direkten Vorsatzes gewollt oder im Sinne eines bedingten Vorsatzes jedenfalls billigend in Kauf genommen hat (voluntatives Element; vgl. BGH NJW 2004, 446 und 2664; Palandt-Sprau, § 826 RdNr. 11 m. w. N.). Aus der Art und Weise in der sich das sittenwidrige Verhalten kundtut, lässt sich häufig folgern, dass der Täter bezüglich der Schädigung vorsätzlich gehandelt hat (BGH WM 95, 882/895). Diesen Beweis haben die Kläger nicht geführt.
Zu Recht hat das Landgericht insoweit ausgeführt, dass das Telefonaufzeichnungssystem, das den vollständigen Wortlaut der Beratungsgespräche aufgezeichnet hat, das eingerichtete Monitoring- und Kontrollsystem (Zeuge W.) sowie die Tatsache, dass die Beklagten als Mehrheitsgesellschafter der Holding (A & B AG) bis zum Schluss auch wesentlich am unternehmerischen Risiko der X-AG beteiligt waren, gegen die Annahme eines bedingten Vorsatzes sprechen.
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4. Mit dem ergänzenden Vortrag aus der Berufungsbegründung behaupten die Kläger, die Beklagten hätten es vorsätzlich unterlassen, die durch die Anlageberater systematisch fehlerhaft durchgeführte Beratung zu korrigieren. Es habe bereits seit Anfang 2008 vermehrt Kundenbeschwerden hinsichtlich des Vertriebs der Anlagen gegeben und seit Mai 2008 sei kritisch in den Medien darüber berichtet worden. Die empfohlenen Kapitalanlagen seien wegen der erheblichen Marktenge und sog. „Klumpenrisiken“ für die Anleger ungeeignet gewesen. Trotz entsprechender Kenntnis hätten es die Beklagten als ehemalige Vorstände der X-AG im Provisionsinteresse unterlassen, die Beratungstätigkeit der X-AG zu korrigieren und damit die Schädigung der Anleger billigend in Kauf genommen.
Die Beklagten haben den erstmaligen Vortrag im Berufungsrechtszug, soweit er neue Tatsachen enthält, bestritten. Der Vortrag ist deshalb insoweit gemäß §§ 529, 531 ZPO als unzulässig zurückzuweisen.
Im Übrigen ist darauf hinzuweisen, dass die Kundenbeschwerden im Wesentlichen auf der Finanzkrise und den damit einhergehenden Wertverlusten fast aller Vermögensanlagen in Wertpapieren beruhten. Die Kläger haben nicht schlüssig dargelegt, weshalb die vermittelten Kapitalanlagen ungeeignet bzw. nicht werthaltig gewesen sein sollen. Zu der von ihnen gezeichneten HPE Unternehmensanleihe wird insoweit gar nichts vorgetragen. Die von den Klägern auf S. 16 der Berufungsbegründung vorgelegte Übersicht zeigt nicht die gesellschaftsrechtlichen Verflechtungen der Emittenten auf (A & B Gruppe; P-Gruppe, W/M; P & Z; Salvator), sondern lediglich die Inhalte einzelner von der X-AG vertriebener Finanzprodukte (z. B. …). Im Übrigen bestand im Hause X-AG ein weisungsunabhängiger Anlageausschuss, deren Vorsitzender der Zeuge W. war. Über die vertriebenen Wertpapiere wurde regelmäßig eine Hausmeinung erstellt, die auch Risiken wie z.B. Marktenge oder Klumpenrisiken umfasste (Beweis Zeugnis W.). Die Kläger behaupten nicht, dass die Beklagten als ehemaliger Vorstände der X-AG den Zeugen W. angewiesen haben, entsprechende Risiken – wider besseres Wissen – nicht zu berücksichtigen.
Nach alledem ist auch der neue Vortrag – abgesehen von seiner Unzulässigkeit – nicht geeignet, entsprechende Pflichtverletzungen der Beklagten und den notwendigen Vorsatz nachzuweisen.
Die Berufung ist deshalb unbegründet.
Die Nebenentscheidungen folgen aus §§ 97 Abs. 1, 708 Nr. 10, 711 ZPO.
Die Revision war nach § 543 Abs. 2 ZPO nicht zuzulassen, da die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat und die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts nicht erfordern. Der vorliegende Rechtsstreit hat seinen Schwerpunkt in den tatsächlichen Feststellungen.