EuGH: Pflicht zur Veröffentlichung von Insider-Informationen auch ohne Kenntnis von dem genauen Einfluss auf den Kurs der Finanzinstrumente
EuGH, Urteil vom 11.3.2015 – C-628/13, Jean-Bernard Lafonta gegen Autorité des marchés financiers, ECLI:EU:C:2015:162
Tenor
Art. 1 Nr. 1 der Richtlinie 2003/6/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 28. Januar 2003 über Insider-Geschäfte und Marktmanipulation (Marktmissbrauch) und Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie 2003/124/EG der Kommission vom 22. Dezember 2003 zur Durchführung der Richtlinie 2003/6 betreffend die Begriffsbestimmung und die Veröffentlichung von Insider-Informationen und die Begriffsbestimmung der Marktmanipulation sind dahin auszulegen, dass sie für die Einstufung einer Information als präzise nicht verlangen, dass aus ihnen mit einem hinreichenden Maß an Wahrscheinlichkeit abgeleitet werden kann, dass sich ihr potenzieller Einfluss auf die Kurse der betreffenden Finanzinstrumente in eine bestimmte Richtung auswirken wird, wenn sie öffentlich bekannt werden.
RL 2003/6/EG Art. 1 Nr. 1; RL 2003/124/EG Art. 1 Abs. 1
Aus den Gründen
1 Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 1 Nr. 1 der Richtlinie 2003/6/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 28. Januar 2003 über Insider-Geschäfte und Marktmanipulation (Marktmissbrauch) (ABl. L 96, S. 16) und von Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie 2003/124/EG der Kommission vom 22. Dezember 2003 zur Durchführung der Richtlinie 2003/6 betreffend die Begriffsbestimmung und die Veröffentlichung von Insider-Informationen und die Begriffsbestimmung der Marktmanipulation (ABl. L 339, S. 70).
2 Sie ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen Herrn Lafonta und der Autorité des marchés financiers (im Folgenden: AMF) über die Entscheidung der Sanktionskommission der AMF vom 13. Dezember 2010, ihm eine Geldbuße aufzuerlegen, weil er der Öffentlichkeit u. a. nicht die Information über die Durchführung einer Finanztransaktion zugänglich gemacht hatte, die es der Wendel SA erlaubte, eine wesentliche Beteiligung am Kapital des Saint-Gobain-Konzerns (im Folgenden: Saint-Gobain) zu erwerben.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Richtlinie 2003/6
3 In den Erwägungsgründen 2, 12 und 24 der Richtlinie 2003/6 heißt es:
„(2) Ein integrierter und effizienter Finanzmarkt setzt Marktintegrität voraus. Das reibungslose Funktionieren der Wertpapiermärkte und das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Märkte sind Voraussetzungen für Wirtschaftswachstum und Wohlstand. Marktmissbrauch verletzt die Integrität der Finanzmärkte und untergräbt das Vertrauen der Öffentlichkeit in Wertpapiere und Derivate.
…
(12) Marktmissbrauch beinhaltet Insider-Geschäfte und Marktmanipulation. Vorschriften zur Bekämpfung von Insider-Geschäften haben dasselbe Ziel wie Vorschriften zur Bekämpfung von Marktmanipulation, nämlich die Integrität der Finanzmärkte der Gemeinschaft sicherzustellen und das Vertrauen der Anleger in diese Märkte zu stärken. …
(24) Durch unverzügliche und angemessene öffentliche Bekanntgabe von Informationen wird die Integrität des Marktes gefördert. Selektive Weitergabe von Informationen durch Emittenten kann dazu führen, dass das Vertrauen der Anleger in die Integrität der Finanzmärkte schwindet. …“
4 In Art. 1 Nr. 1 Abs. 1 der Richtlinie 2003/6 wird der Begriff „Insider-Information“ für die Zwecke dieser Richtlinie definiert als „eine nicht öffentlich bekannte präzise Information, die direkt oder indirekt einen oder mehrere Emittenten von Finanzinstrumenten oder ein oder mehrere Finanzinstrumente betrifft und die, wenn sie öffentlich bekannt würde, geeignet wäre, den Kurs dieser Finanzinstrumente oder den Kurs sich darauf beziehender derivativer Finanzinstrumente erheblich zu beeinflussen“.
5 Art. 2 Abs. 1 Unterabs. 1 dieser Richtlinie bestimmt:
„Die Mitgliedstaaten untersagen Personen im Sinne von Unterabsatz 2, die über eine Insider-Information verfügen, unter Nutzung derselben für eigene oder fremde Rechnung direkt oder indirekt Finanzinstrumente, auf die sich die Information bezieht, zu erwerben oder zu veräußern oder dies zu versuchen.“
6 Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 1 der Richtlinie sieht vor:
„Die Mitgliedstaaten sorgen dafür, dass alle Emittenten von Finanzinstrumenten Insider-Informationen, die sie unmittelbar betreffen, so bald als möglich der Öffentlichkeit bekannt geben.“
Richtlinie 2003/124
7 Die Erwägungsgründe 1 und 3 der Richtlinie 2003/124 lauten:
„(1) Verständige Investoren stützen ihre Anlageentscheidungen auf Informationen, die ihnen vorab zur Verfügung stehen (verfügbare Ex-ante-Informationen). Die Prüfung der Frage, ob ein verständiger Investor einen bestimmten Sachverhalt oder ein bestimmtes Ereignis im Rahmen seiner Investitionsentscheidung berücksichtigt hätte, sollte folglich anhand der ex ante vorliegenden Informationen erfolgen. Eine solche Prüfung sollte auch die möglichen Auswirkungen der Information in Betracht ziehen, insbesondere unter Berücksichtigung der Gesamttätigkeit des Emittenten, der Verlässlichkeit der Informationsquelle und sonstiger Marktvariablen, die das entsprechende Finanzinstrument oder unter den gegebenen Umständen damit verbundene derivative Finanzinstrument beeinflussen dürften.
…
(3) Die Rechtssicherheit für die Marktteilnehmer soll durch eine genauere Bestimmung von zwei wesentlichen Tatbestandsmerkmalen der Insider-Information erhöht werden, nämlich die präzise Natur dieser Information und die Frage, ob diese Information möglicherweise den Kurs der Finanzinstrumente oder den Kurs damit verbundener derivativer Finanzinstrumente erheblich beeinflussen wird.“
8 Art. 1 („Insider-Informationen“) dieser Richtlinie bestimmt:
„(1) Für die Anwendung von Artikel 1 [Nr.] 1 der Richtlinie 2003/6/EG ist eine Information dann als präzise anzusehen, wenn damit eine Reihe von Umständen gemeint ist, die bereits existieren oder bei denen man mit hinreichender Wahrscheinlichkeit davon ausgehen kann, dass sie in Zukunft existieren werden, oder ein Ereignis, das bereits eingetreten ist oder mit hinreichender Wahrscheinlichkeit in Zukunft eintreten wird, und [wenn] diese Information darüber hinaus spezifisch genug ist, dass sie einen Schluss auf die mögliche Auswirkung dieser Reihe von Umständen oder dieses Ereignisses auf die Kurse von Finanzinstrumenten oder damit verbundenen derivativen Finanzinstrumenten zulässt.
(2) Für die Anwendung von Artikel 1 [Nr.] 1 der Richtlinie 2003/6/EG ist [mit] einer ‚Insider-Information, die, wenn sie öffentlich bekannt würde, geeignet wäre, den Kurs dieser Finanzinstrumente oder den Kurs damit verbundener derivativer Finanzinstrumente spürbar zu beeinflussen‘ eine Information gemeint, die ein verständiger Anleger wahrscheinlich als Teil der Grundlage seiner Anlageentscheidungen nutzen würde.“
Französisches Recht
9 Mit Verordnung vom 12. November 2004 (JORF vom 24. November 2004, S. 19749) wurden die Bücher II („Emittenten und Finanzinformation“) bis VI („Marktmissbrauch: Insider-Geschäfte und Marktmanipulationen“) der Allgemeinen Verfahrensordnung der AMF genehmigt.
10 Im Buch II dieser Allgemeinen Verfahrensordnung, die aus der Verordnung vom 4. Januar 2007 (JORF vom 20. Januar 2007, S. 1204) hervorgegangen ist, bestimmt Art. 223-2:
„I. – Jeder Emittent muss so bald als möglich der Öffentlichkeit jede in Artikel 621-1 definierte und ihn unmittelbar betreffende Insider-Information bekannt geben.
…“
11 In Buch VI der Allgemeinen Verfahrensordnung sieht Art. 621-1 Abs. 1 und 2 vor:
„Eine Insider-Information ist eine nicht öffentlich bekannte präzise Information, die direkt oder indirekt einen oder mehrere Emittenten von Finanzinstrumenten oder ein oder mehrere Finanzinstrumente betrifft und die, wenn sie öffentlich bekannt würde, geeignet wäre, den Kurs dieser Finanzinstrumente oder den Kurs sich darauf beziehender Finanzinstrumente erheblich zu beeinflussen.
Eine Information wird als präzise angesehen, wenn damit eine Reihe von Umständen, die eingetreten sind oder eintreten können, oder ein Ereignis, das eingetreten ist oder eintreten kann, gemeint ist und wenn sie einen Schluss auf die mögliche Auswirkung dieser Umstände oder dieses Ereignisses auf den Kurs der betreffenden Finanzinstrumente oder sich darauf beziehender Finanzinstrumente zulässt.“
Ausgangsrechtsstreit und Vorlagefrage
12 Wie aus der Vorlageentscheidung hervorgeht, schloss die Wendel SA, deren Vorstandsvorsitzender Herr Lafonta war, zwischen Dezember 2006 und Juni 2007 mit vier Kreditinstituten Verträge über „Total Return Swaps“ (im Folgenden: TRS) ab, denen als Aktiva Aktien von Saint-Gobain zugrunde lagen. Zu deren Deckung erwarben diese Kreditinstitute insgesamt 85 Millionen Aktien von Saint-Gobain. Die Wendel SA erhielt beim Abschluss der TRS von diesen Kreditinstituten und von einem weiteren Kreditinstitut finanzielle Hilfen in Höhe eines Gesamtbetrags, der dem der TRS nahekam.
13 Da die Wendel SA am 3. September 2007 entschieden hatte, die TRS schrittweise abzuwickeln, erwarb sie zwischen diesem Zeitpunkt und dem 27. November 2007 mehr als 66 Millionen Aktien, die 17,6 % des Kapitals von Saint-Gobain entsprachen. Die Überschreitung der Schwellen von 5 %, 10 %, 15 % und 20 % des Kapitals von Saint-Gobain wurde der AMF nacheinander zwischen dem 26. September 2007 und dem 26. März 2008 angezeigt.
14 Nach Abschluss einer Untersuchung der Umstände der Steigerung des Anteils am Kapital von Saint-Gobain ging die AMF davon aus, dass die Wendel SA zwar am 3. September 2007 offiziell die Entscheidung getroffen habe, die wirtschaftliche Beteiligung an Saint-Gobain in einen physischen Besitz von Aktien umzuwandeln; der Inhalt des am Ende dieser Untersuchung erstellten Berichts und das Zusammenfallen der Unterzeichnung der TRS mit der Erlangung von Finanzierungen durch die Wendel SA, durch die ihr letztlich der Erwerb der von den Kreditinstituten im Rahmen der Abwicklung der TRS abgegebenen Saint-Gobain-Aktien auf dem Markt ermöglicht worden sei, zeigten jedoch, dass die Wendel SA von Anfang an beabsichtigt habe, eine erhebliche Beteiligung am Kapital von Saint-Gobain zu erwerben, und dass die in Rede stehende finanzielle Transaktion mit diesem wesentlichen Ziel durchgeführt worden sei.
15 Die AMF warf daher der Wendel SA und Herrn Lafonta vor, zum einen der Öffentlichkeit nicht spätestens am 21. Juni 2007, dem Tag, an dem sämtliche TRS abgeschlossen worden seien, die wichtigsten Merkmale der finanziellen Transaktion mitgeteilt zu haben, die von der Wendel SA vorbereitet worden seien und es ihr ermöglichen sollten, eine erhebliche Beteiligung am Kapital von Saint-Gobain zu erwerben, und zum anderen, der Öffentlichkeit nicht vor Eintritt der Verpflichtung der Wendel SA, die Überschreitung der Schwelle von 5 % bekannt zu geben, die Insider-Information mitgeteilt zu haben, die in der Vornahme dieser finanziellen Transaktion durch die Wendel SA zur Ermöglichung des Erwerbs einer erheblichen Beteiligung am Kapital von Saint-Gobain bestanden habe.
16 Am 13. Dezember 2010 entschied der Sanktionsausschuss der AMF, dass die Vorwürfe als erwiesen anzusehen seien, und verhängte gegen die Wendel SA und Herrn Lafonta eine Geldbuße von jeweils 1,5 Mio. Euro.
17 Herr Lafonta erhob vor der Cour d’appel de Paris eine Klage auf Nichtigerklärung dieser Entscheidung, soweit ihm darin eine Geldbuße auferlegt wurde. Mit Urteil vom 31. Mai 2012 wies die Cour d’appel de Paris die Klage ab.
18 Herr Lafonta legte gegen dieses Urteil Kassationsbeschwerde ein. Zu deren Stützung brachte er vor, dass eine Information nur dann als präzise im Sinne von Art. 621-1 Abs. 2 der Allgemeinen Verfahrensordnung der AMF, auf den ihr Art. 223-2 verweise, angesehen werde, wenn „damit eine Reihe von Umständen, die eingetreten sind oder eintreten können, oder ein Ereignis, das eingetreten ist oder eintreten kann, gemeint ist und wenn sie einen Schluss auf die mögliche Auswirkung dieser Umstände oder dieses Ereignisses auf den Kurs der betreffenden Finanzinstrumente oder sich darauf beziehender Finanzinstrumente zulässt“. Daraus folge, dass eine Information im Sinne dieser Vorschrift nur dann präzise sei, wenn sie demjenigen, der über sie verfüge, eine Vorhersage ermögliche, in welche Richtung sich der Kurs der betreffenden Aktie ändern werde, wenn die Information öffentlich bekannt werde. Nur eine Information, die eine Vorhersage ermögliche, ob der Kurs der betreffenden Aktie steigen oder fallen werde, ermögliche es demjenigen, der über sie verfüge, zu erkennen, ob er kaufen oder verkaufen solle, und verschaffe ihm somit einen Vorteil im Verhältnis zu allen anderen Marktteilnehmern, denen diese Information nicht bekannt sei. Im vorliegenden Fall sei es unmöglich gewesen, vorherzusagen, ob sich die Offenlegung der Information zur Beteiligung am Kapital von Saint-Gobain positiv oder negativ auf den Kurs der Aktien der Wendel SA auswirken werde.
19 Die AMF hält dem entgegen, dass ein solches Erfordernis über den Wortlaut der Richtlinien 2003/6 und 2003/124 hinausgehe, der die Richtung einer möglichen Auswirkung der Information auf den Kurs der betreffenden Finanzinstrumente nicht erwähne. Jede Information, die, wenn sie bekannt würde, eine Änderung des Kurses nach sich ziehen könnte, stelle allein aufgrund dieser Tatsache eine präzise Information dar, so dass das Unterscheidungskriterium zwischen einer präzisen Information und einer unpräzisen Information in der Möglichkeit ihrer Auswirkung auf den Markt bestehe.
20 Unter diesen Umständen hat die Cour de cassation beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen:
Sind Art. 1 Nr. 1 der Richtlinie 2003/6 und Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie 2003/124 dahin auszulegen, dass ausschließlich diejenigen Informationen präzise Informationen im Sinne dieser Bestimmungen darstellen können, aus denen mit einem hinreichenden Maß an Wahrscheinlichkeit abgeleitet werden kann, dass sich ihr potenzieller Einfluss auf die Kurse der betreffenden Finanzinstrumente in eine bestimmte Richtung auswirken wird, wenn sie öffentlich bekannt werden?
Zur Vorlagefrage
21 Zunächst ist festzustellen, dass die Richtlinie 2003/6, wie sich aus ihren Erwägungsgründen 2 und 12 ergibt, die Integrität der Finanzmärkte der Europäischen Union sicherstellen und das Vertrauen der Anleger in diese Märkte stärken soll, ein Vertrauen, das insbesondere darauf beruht, dass die Anleger einander gleichgestellt sind und vor der unrechtmäßigen Verwendung von Insider-Informationen geschützt werden (vgl. in diesem Sinne Urteile Spector Photo Group und Van Raemdonck, C-45/08, EU:C:2009:806, BB 2010, 329 m. BB-Komm. Voß, EWS 2010, 99, RIW 2010, 152, Rn. 47, IMC Securities, C-445/09, EU:C:2011:459, RdF-Entscheidungsreport Teuber, RdF 2012, 201, Rn. 27, und Geltl, C-19/11, EU:C:2012:397, BB 2012, 1817 m. BB-Komm. Kocher/Widder, EWS 2012, 297, RIW 2012, 557, Rn. 33).
22 Zu diesem Zweck verpflichtet, während Art. 2 Abs. 1 der Richtlinie 2003/6 Insider-Geschäfte verbietet, ihr Art. 6 Abs. 1 die Emittenten von Finanzinstrumenten, Insider-Informationen, die sie unmittelbar betreffen, so bald als möglich der Öffentlichkeit bekannt zu geben. Wie im 24. Erwägungsgrund dieser Richtlinie hervorgehoben wird, wird durch eine unverzügliche und angemessene öffentliche Bekanntgabe von Informationen die Integrität des Marktes gefördert, während eine selektive Weitergabe dazu führen kann, dass das Vertrauen der Anleger in die Integrität der Finanzmärkte schwindet.
23 Der Begriff „Insider-Information“ wird in Art. 1 Nr. 1 Abs. 1 der Richtlinie 2003/6 definiert als „eine nicht öffentlich bekannte präzise Information“, die direkt oder indirekt einen oder mehrere Emittenten von Finanzinstrumenten oder ein oder mehrere Finanzinstrumente betrifft und die, „wenn sie öffentlich bekannt würde, geeignet wäre, den Kurs dieser Finanzinstrumente oder den Kurs sich darauf beziehender derivativer Finanzinstrumente erheblich zu beeinflussen“.
24 Die Definition des Begriffs „Insider-Information“ in dieser Bestimmung besteht somit aus vier wesentlichen Tatbestandsmerkmalen. Erstens handelt es sich um eine präzise Information. Zweitens ist diese Information nicht öffentlich bekannt. Drittens betrifft sie direkt oder indirekt ein oder mehrere Finanzinstrumente oder deren Emittenten. Viertens wäre sie, wenn sie öffentlich bekannt würde, geeignet, den Kurs dieser Finanzinstrumente oder den Kurs sich darauf beziehender derivativer Finanzinstrumente erheblich zu beeinflussen (Urteil Geltl, EU:C:2012:397, Rn. 25).
25 Der Gerichtshof hat entschieden, dass eine Insider-Information wegen ihres nicht öffentlich bekannten präzisen Charakters und ihrer Eignung, den Kurs der fraglichen Finanzinstrumente erheblich zu beeinflussen, dem Insider, der sie besitzt, einen Vorteil im Verhältnis zu allen anderen Marktteilnehmern verschafft, denen sie unbekannt ist (vgl. Urteil Spector Photo Group und Van Raemdonck, EU:C:2009:806, Rn. 52).
26 Ferner ist darauf hinzuweisen, dass mit der Richtlinie 2003/124, wie aus ihrem dritten Erwägungsgrund hervorgeht, das erste und das vierte der in Rn. 24 des vorliegenden Urteils angeführten wesentlichen Tatbestandsmerkmale des Begriffs „Insider-Information“ zur Erhöhung der Rechtssicherheit für die Marktteilnehmer genauer bestimmt werden sollte.
27 So sieht Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie 2003/124 zum ersten Tatbestandsmerkmal vor, dass eine Information „dann als präzise anzusehen [ist], wenn damit eine Reihe von Umständen gemeint ist, die bereits existieren oder bei denen man mit hinreichender Wahrscheinlichkeit davon ausgehen kann, dass sie in Zukunft existieren werden, oder ein Ereignis, das bereits eingetreten ist oder mit hinreichender Wahrscheinlichkeit in Zukunft eintreten wird, und diese Information darüber hinaus spezifisch genug ist, dass sie einen Schluss auf die mögliche Auswirkung dieser Reihe von Umständen oder dieses Ereignisses auf die Kurse von Finanzinstrumenten oder damit verbundenen derivativen Finanzinstrumenten zulässt“. Zum vierten Tatbestandsmerkmal heißt es in Art. 1 Abs. 2 dieser Richtlinie, dass mit einer zur erheblichen Beeinflussung des Kurses der betreffenden Finanzinstrumente geeigneten Information eine Information gemeint ist, „die ein verständiger Anleger wahrscheinlich als Teil der Grundlage seiner Anlageentscheidungen nutzen würde“.
28 Der Gerichtshof hat entschieden, dass die damit in Art. 1 der Richtlinie 2003/124 erläuterten beiden wesentlichen Tatbestandsmerkmale des Begriffs „Insider-Information“ voneinander unabhängig sind und Mindestvoraussetzungen darstellen, von denen jede erfüllt sein muss, damit eine Information als „Insider-Information“ im Sinne von Art. 1 Nr. 1 Abs. 1 der Richtlinie 2003/6 angesehen werden kann (vgl. in diesem Sinne Urteil Geltl, EU:C:2012:397, Rn. 52 und 53).
29 Nach dem Hinweis auf diese Grundsätze ist festzustellen, dass sich die vom vorlegenden Gericht gestellte Frage ausschließlich auf Klarstellungen zum ersten wesentlichen Tatbestandsmerkmal der Definition des Begriffs „Insider-Information“ bezieht, nämlich der präzisen Natur dieser Information.
30 Wie der Generalanwalt in Nr. 37 seiner Schlussanträge hervorgehoben hat, geht aus dem Wortlaut dieser Bestimmung nicht hervor, dass „präzise“ Informationen nur solche sein können, mit denen sich bestimmen lässt, in welche Richtung sich der Kurs der betreffenden Finanzinstrumente oder der sich darauf beziehenden derivativen Finanzinstrumente ändern würde.
31 Nach dem Sinn, der den in Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie 2003/124 verwendeten Begriffen allgemein beigemessen wird, ist nämlich davon auszugehen, dass es für die Erfüllung der Bedingung, um die es sich handelt, ausreicht, dass die Information hinreichend konkret oder spezifisch ist, um als Grundlage für die Beurteilung dienen zu können, ob die Reihe von Umständen oder das Ereignis, die oder das Gegenstand der Information sind, eine Auswirkung auf die Kurse der Finanzinstrumente haben kann, auf die sie sich bezieht. Daher schließt diese Bestimmung vom Begriff „Insider-Information“ nur vage oder allgemeine Informationen aus, die keine Schlussfolgerung hinsichtlich ihrer möglichen Auswirkung auf den Kurs der betreffenden Finanzinstrumente zulassen.
32 Diese Auslegung wird sowohl durch die allgemeine Systematik von Art. 1 der Richtlinie 2003/124 als auch durch die Zielsetzung der Richtlinie 2003/6 bestätigt.
33 Zur allgemeinen Systematik von Art. 1 der Richtlinie 2003/124 trägt Herr Lafonta vor, dass eine Information nur dann als präzise angesehen werden könne, wenn sie ihren Besitzer in die Lage versetze, vorherzusehen, in welche Richtung sich der Kurs des betreffenden Finanzinstruments ändere, da nur eine solche Information ihrem Besitzer die Klärung der Frage erlauben würde, ob dieses Finanzinstrument zu erwerben oder zu veräußern wäre, und ihm daher einen Vorteil im Verhältnis zu allen anderen Marktteilnehmern verschaffen würde.
34 Insoweit ist aber festzustellen, dass Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie 2003/124 ebenso wie ihr Art. 1 Abs. 1 nicht verlangt, dass es die Information erlaubt, die Richtung zu bestimmen, in die sich der Kurs der betreffenden Finanzinstrumente ändern wird. Eine erteilte Information kann nämlich von einem verständigen Anleger als Teil der Grundlage seiner Anlageentscheidung genutzt werden und daher der in Art. 1 Abs. 2 dieser Richtlinie aufgestellten Bedingung genügen, auch wenn diese Information es nicht erlaubt, die Änderung des Kurses der betreffenden Finanzinstrumente in eine bestimmte Richtung vorherzusehen.
35 In Bezug auf die Zielsetzung der Richtlinie 2003/6 ist den Ausführungen des Generalanwalts in Nr. 39 seiner Schlussanträge beizupflichten, dass eine Beschränkung des Anwendungsbereichs von Art. 1 Nr. 1 der Richtlinie 2003/6 und von Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie 2003/124 auf Informationen, mit denen sich bestimmen lässt, in welche Richtung sich der Kurs der betreffenden Finanzinstrumente ändern wird, die Gefahr einer Beeinträchtigung der in Rn. 21 des vorliegenden Urteils angeführten Ziele mit sich brächte.
36 Die hohe Komplexität der Finanzmärkte macht nämlich eine exakte Einschätzung der Richtung, in die sich die Kurse von Finanzinstrumenten ändern können, besonders schwierig; darauf wird im Übrigen auch im ersten Erwägungsgrund der Richtlinie 2003/124 hingewiesen, der mehrere Faktoren nennt, die in einem konkreten Fall Einfluss auf diese Kurse haben können. Unter diesen Umständen, die allgemein betrachtet zu unterschiedlichen Einschätzungen je nach Anleger führen können, würde, wenn eine Information nur dann als präzise angesehen werden könnte, wenn sich mit ihrer Hilfe bestimmen ließe, in welche Richtung sich der Kurs der betreffenden Finanzinstrumente ändern wird, das Ergebnis eintreten, dass der Besitzer von Informationen vorgeben könnte, dass insoweit Unsicherheit bestehe, um sich einer Veröffentlichung bestimmter dieser Informationen zu enthalten und so zum Nachteil anderer Marktteilnehmer von ihnen zu profitieren.
37 In diesem Zusammenhang ist ferner festzustellen, dass aus der Entstehungsgeschichte der Richtlinie 2003/124 hervorgeht, dass eine Bezugnahme auf die Möglichkeit, einen Schluss hinsichtlich der „Richtung“ der Auswirkung einer Information auf den Kurs der betreffenden Finanzinstrumente zu ziehen, die in der im Dezember 2002 vom Ausschuss der Europäischen Wertpapierregulierungsbehörden (CESR) zur öffentlichen Anhörung an die Europäische Kommission übersandten Version der technischen Stellungnahme CESR/02-089d „Stellungnahme des CESR zur Stufe 2 der Durchführungsbestimmungen für die vorgeschlagene Marktmissbrauchsrichtlinie“ („CESR’s Advice on Level 2 Implementing Measures for the proposed Market Abuse Directive“) enthalten war, später gerade deshalb gestrichen wurde, um zu vermeiden, dass eine solche Bezugnahme als Vorwand für eine unterlassene Veröffentlichung von Informationen dienen könnte.
38 Nach alledem ist auf die Vorlagefrage zu antworten, dass Art. 1 Nr. 1 der Richtlinie 2003/6 und Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie 2003/124 dahin auszulegen sind, dass sie für die Einstufung von Informationen als präzise nicht verlangen, dass aus ihnen mit einem hinreichenden Maß an Wahrscheinlichkeit abgeleitet werden kann, dass sich ihr potenzieller Einfluss auf die Kurse der betreffenden Finanzinstrumente in eine bestimmte Richtung auswirken wird, wenn sie öffentlich bekannt werden.
Kosten
39 Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem beim vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.