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06.05.2013
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LG Köln: Kein Amtshaftungsanspruch gegen das Bundeskartellamt wegen rechtswidriger Fusionsuntersagung

LG Köln, Urteil vom 26.2.2013 - 5 O 86/12; n. rkr.

 

Nicht Amtliche Leitsätze

1. Auch wenn das Bundeskartellamt eine  Amtspflicht verletzt, indem es eine Fusion rechtswidrig untersagt, begründet dieses Verhalten allein kein einen Amtshaftungsanspruch begründendes Verschulden der Beamten, vorausgesetzt, der Entscheidung liegen eine gewissenhafte Prüfung und vernünftige Überlegungen zugrunde.

2. Dies gilt nach den Grundsätzen der Kollegialgerichts-Richtlinie vor allem dann, wenn ein mit mehreren Rechtskundigen besetztes Kollegialgericht die fragliche Amtstätigkeit als objektiv rechtmäßig angesehen hat (hier: das OLG Düsseldorf).


BGB § 839; GG Art. 34

 

Sachverhalt

Die Klägerin ist eine dänische, börsennotierte Aktiengesellschaft und Obergesellschaft einer in zwei Geschäftsbereichen tätigen Unternehmensgruppe. 2006 entschied der Vorstand der Klägerin, den Geschäftsbereich „A", der die Herstellung und den weltweiten Vertrieb von Hörgeräten und audiologischen Diagnosegeräten betreibt, zu veräußern. Die Klägerin führte ein Bieterverfahren durch, in deren Verlauf sich die I. AG als Kaufinteressentin durchsetzte.

 

Am 2.10.2006 wurde der Vertrag über den Erwerb des Hörgerätegeschäfts der Klägerin, das „SPA" (im Folgenden: A) unterzeichnet. Ziel des Vertrages war der Verkauf der Anteile an den drei Obergesellschaften der A-Gruppe in Dänemark, Deutschland und den USA an jeweils zu gehörende Gesellschaften in Dänemark, Deutschland und den USA. Wirtschaftlich sollte der Erwerb der Anteile an den drei Gesellschaften zur Übernahme des gesamten Hörgerätegeschäfts der Klägerin durch die I. AG führen.

 

Der von den übernehmenden Gesellschaften (im Folgenden: Käufer) zu zahlende Kaufpreis sollte anhand einer vereinbarten Formel berechnet werden, die auf dem Wert des Hörgerätegeschäfts der Klägerin basierte. Den Vollzug des Erwerbs stellten die Parteien des A unter verschiedene Bedingungen. Eine der Vollzugsbedingungen war die fusionskontrollrechtliche Freigabe des Erwerbs durch die jeweiligen Behörden in den USA, Deutschland, China, Israel, Spanien, Türkei und Norwegen.

 

Am 8.11.2006 meldete das Zusammenschlussvorhaben erstmals bei dem Bundeskartellamt an. Nachdem das Bundeskartellamt mitgeteilt hatte, dass die Monatsfrist des § 40 Abs. 1 S. 1 GWB nicht eingehalten werden könne, nahm die Anmeldung am 5.12.2006 zurück und meldete das Zusammenschlussvorhaben am 13.12.2006 erneut unverändert an. Am 19.3.2007 wurden die Klägerin und  über die Gründe informiert, aus denen die zuständige Beschlussabteilung beabsichtige, das Zusammenschlussvorhaben zu untersagen. Daraufhin hatten die Beteiligten nochmals Gelegenheit zur Stellungnahme.

 

Mit Beschluss vom 11.4.2007 untersagte das Bundeskartellamt den beabsichtigten Erwerb der A-Gruppe durch die I. AG. Gegen den Beschluss legten die Klägerin und  Beschwerde ein und beantragten gleichzeitig, ihnen im Wege der einstweiligen Anordnung zu gestatten, den untersagten Zusammenschluss vorläufig zu vollziehen. Am 8.8.2007 verwarf der Kartellsenat des OLG Düsseldorf den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung. Die zugelassene Rechtsbeschwerde zum BGH legte die Klägerin nicht ein. Mit Schreiben vom 15.8.2007 erklärten die Käufer und  (mittlerweile firmierend unter T AG) gegenüber der Klägerin die Kündigung des A unter Berufung auf ein vertragliches Kündigungsrecht. Das Beschwerdeverfahren in der Hauptsache führten die Beteiligten des Zusammenschlussvorhabens in der Folge als Fortsetzungsfeststellungsverfahren weiter.

 

Mit Beschluss vom 26.11.2008 wies das OLG Düsseldorf die Beschwerden der Beteiligten zurück. Auf die Rechtsbeschwerde der Beteiligten des Zusammenschlussvorhabens stellte der BGH mit Beschluss vom 20.4.2010 die Rechtswidrigkeit des Beschlusses des Bundeskartellamts vom 11.4.2007 fest.

 

Mit der vorliegenden Klage verlangt die Klägerin Schadensersatz in Höhe des ihr entgangenen Veräußerungserlöses (2.065.706.247 Euro) abzüglich des Werts des bei ihr verbliebenen Hörgerätegeschäfts, den sie zum Stichtag 30.6.2010 mit 982.043.327 Euro ermittelt hat. Die Klage hatte keinen Erfolg.

 

Aus den Gründen

 

Der Klägerin steht gegen die Beklagte ein Anspruch auf Zahlung von Schadensersatz in Höhe von 1.133.520.363,11 Euro unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt zu.

 

    ► Ein Anspruch der Klägerin auf Schadensersatz ergibt sich nicht aus § 839 Abs. 1 S. 1 BGB i. V. m. Art. 34 S. 1 GG

 

Der Anspruch ergibt sich insbesondere nicht aus § 839 Abs. 1 S. 1 BGB in Verbindung mit Art. 34 Satz 1 GG. Danach haftet die anstellende Körperschaft für Schäden, die dadurch entstehen, dass ein Beamter in Ausübung eines ihm anvertrauten öffentlichen Amtes vorsätzlich oder fahrlässig eine ihm gegenüber einem Dritten obliegende Amtspflicht verletzt.

 

    ► Zwar haben die Beamten des Bundeskartellamts mit dem Erlass der Untersagungsverfügung eine Amtspflicht verletzt, ...

 

I. Die Beamten des Bundeskartellamts haben mit dem Erlass der Untersagungsverfügung zwar eine Amtspflicht verletzt. Denn es gehört zu den Amtspflichten des Beamten, die Aufgaben und Befugnisse der juristischen Person des öffentlichen Rechts, in deren Namen und Rechtskreis er tätig wird, im Einklang mit dem objektiven Recht wahrzunehmen (Papier in MünchKomm BGB, 5. Aufl. 2009, § 839 Rn. 193 f.).

 

Die Untersagungsverfügung des Bundeskartellamts war rechtswidrig und stand damit nicht im Einklang mit dem objektiven Recht. Dies steht aufgrund des letztinstanzlichen Beschlusses des BGH vom 20.4.2010 (Az. KVR 1/09) fest. Die Kammer ist an diese Feststellung gebunden (Sprau in Palandt, BGB, 72. Aufl. 2013, § 839 Rn. 87).

 

    ► ... die auch drittschützende Wirkung zu Gunsten der Klägerin entfaltet

 

II. Die verletzte Amtspflicht entfaltet auch drittschützende Wirkung zu Gunsten der Klägerin. Die Klägerin war zwar nicht als am Zusammenschluss beteiligtes Unternehmen anzusehen. Das ergibt sich aus § 39 Abs. 2 GWB, der ausdrücklich zwischen den „am Zusammenschluss beteiligten Unternehmen" und dem „Veräußerer" unterscheidet. Trotzdem ist sie hier als durch die Amtspflichten der Kartellamtsbeamten geschützte Dritte anzusehen.

 

Ob ein durch eine Amtspflichtverletzung Geschädigter zu dem Kreis der "Dritten" i. S. von § 839 BGB gehört, beantwortet sich danach, ob die Amtspflicht - wenn auch nicht notwendig allein, so doch auch - den Zweck hat, das Interesse gerade dieses Geschädigten wahrzunehmen. Nur wenn sich aus den die Amtspflicht begründenden und sie umreißenden Bestimmungen sowie aus der Natur des Amtsgeschäfts ergibt, dass der Geschädigte zu dem Personenkreis gehört, dessen Belange nach dem Zweck und der rechtlichen Bestimmung des Amtsgeschäfts geschützt und gefördert werden sollen, besteht ihm gegenüber bei schuldhafter Pflichtverletzung ein Schadensersatzanspruch. Hingegen ist anderen Personen gegenüber, selbst wenn die Amtspflichtverletzung sich für sie mehr oder weniger nachteilig ausgewirkt hat, eine Ersatzpflicht nicht begründet. Es muss mithin eine besondere Beziehung zwischen der verletzten Amtspflicht und dem geschädigten "Dritten" bestehen (st.Rspr.; vgl.  BGH WM 1971, 622 f.; NJW 1984, 2516 ff.; NJW 1989, 976 ff.). Dabei muss eine Person, der gegenüber eine Amtspflicht zu erfüllen ist, nicht in allen ihren Belangen immer als Dritte anzusehen sein. Vielmehr ist jeweils zu prüfen, ob gerade das im Einzelfall berührte Interesse nach dem Zweck der rechtlichen Bestimmung des Amtsgeschäfts geschützt werden soll. Es kommt demnach auf den Schutzzweck der Amtspflicht an (BGH NJW 1984, 2691 f.; BGH NJW 1984, 2220 ff., mit weiteren Nachweisen).

 

Für den vorliegenden Fall ergibt sich aus § 54 Abs. 2 Nr. 4 GWB, wonach der Veräußerer an dem Verfahren vor der Kartellbehörde auch dann beteiligt ist, wenn er das Zusammenschlussvorhaben nicht selbst angemeldet hatte, und aus § 63 Abs. 2 GWB, wonach die Beschwerde gegen Entscheidungen der Kartellbehörde allen Beteiligten im Sinne des § 54 Abs. 2 GWB zusteht, dass hier gerade auch die Interessen des Veräußerers - unabhängig von der eigenen Anmeldung des Vorhabens - geschützt werden sollen. § 54 Abs. 2 Nr. 4 GWB will gewährleisten, dass die Kartellbehörde die Interessen des Veräußerers frühzeitig bereits im Rahmen des Verwaltungsverfahrens berücksichtigt. Zweck des § 63 GWB ist es, den am Kartellverfahren Beteiligten über die Vorschrift des § 42 Abs. 2 VwGO hinaus, der in Fällen wie dem vorliegenden für die Klagebefugnis des jeweiligen Beteiligten eine eigene Antragsstellung voraussetzt, Rechtsschutzmöglichkeiten zu eröffnen. Die genannten Regelungen des GWB sind von dem Gedanken geprägt, dass die am Kartellverfahren Beteiligten, insbesondere also der Veräußerer, auch dann in ihren Interessen betroffen sein können, wenn sie das Zusammenschlussvorhaben nicht selbst angemeldet und deswegen keine formelle Beteiligtenstellung haben. Das spricht dafür, dass den Beamten des Bundeskartellamts bei der Prüfung des Zusammenschlussvorhabens gerade auch die Wahrnehmung der Interessen der Klägerin als Veräußerer oblag.

 

    ► Es fehlt jedoch am Verschulden der handelnden Beamten

  

III. Es fehlt jedoch am Verschulden der handelnden Beamten. Der Klägerin ist es nicht gelungen, ein vorsätzliches oder fahrlässiges pflichtwidriges Verhalten darzulegen.

 

Entgegen der Auffassung der Klägerin spricht für ein Verschulden der Beamten des Bundeskartellamts nicht bereits eine tatsächliche Vermutung. Der Ansicht der Klägerin, wonach im Falle einer objektiv unrichtigen Maßnahme einer Fachbehörde, bei der die erforderliche Fachkunde vorauszusetzen ist, eine tatsächliche Vermutung dafür spreche, dass die unrichtige Maßnahme auf einem Außerachtlassen der  erforderlichen Sorgfalt beruhe, kann jedenfalls im vorliegenden Fall nicht gefolgt werden. Soweit die Rechtsprechung in der Vergangenheit bei Amtshaftungsfällen vereinzelt eine tatsächliche Vermutung angenommen hat (BGH VersR 1969, 539 ff., nach juris Rn. 27; OLGR München 2006, 486 f., nach juris Rn. 52), sind die entschiedenen Fälle mit dem vorliegenden nicht vergleichbar.

 

    ► Ein Sorgfaltspflichtverstoß der handelnden Beamten lässt sich vor allem nicht damit begründen, ...

 

1. Ein Sorgfaltspflichtverstoß der handelnden Beamten ist nicht ersichtlich.

 

Nach dem objektivierten Sorgfaltsmaßstab, der im Rahmen des § 839 BGB gilt, kommt es für die Beurteilung des Verschuldens auf die Kenntnisse und Fähigkeiten an, die für die Führung des übernommenen Amtes im Durchschnitt erforderlich sind. Die Anforderungen an amtspflichtgemäßes Verhalten sind am Maßstab des pflichtgetreuen Durchschnittsbeamten zu messen. Jeder staatliche Amtsträger muss die zur Führung seines Amtes notwendigen Rechts- und Verwaltungskenntnisse besitzen oder sich verschaffen. Bei der Gesetzesauslegung und Rechtsanwendung hat er die Gesetzes- und Rechtslage unter Zuhilfenahme der ihm zu Gebote stehenden Hilfsmittel sorgfältig und gewissenhaft zu prüfen und danach aufgrund vernünftiger Überlegungen sich eine Rechtsmeinung zu bilden. Nicht jeder objektive Rechtsirrtum begründet einen Schuldvorwurf. Wenn die nach sorgfältiger Prüfung gewonnene Rechtsansicht des Amtsträgers als rechtlich vertretbar angesehen werden kann und er daran bis zur gerichtlichen Klärung der Rechtslage festhält, so kann aus der Missbilligung seiner Rechtsauffassung durch die Gerichte ein Schuldvorwurf nicht hergeleitet werden (st. Rspr. des Bundesgerichtshofs; vgl. BGH NJW 1993, 530 f., nach juris Rn. 17; NVwZ 1998, 1329 f., nach juris Rn. 9; NVwZ 2001, 465 ff., nach juris Rn. 26;). Insbesondere fehlt es am Verschulden bei einer zwar unrichtigen, aber nach gewissenhafter Prüfung der zu Gebote stehenden Hilfsmittel auf vernünftige Überlegungen gestützten Auslegung bei solchen Gesetzesbestimmungen, die für die Auslegung Zweifel in sich tragen, namentlich dann, wenn die Gesetzesbestimmung neu ist und die auftauchenden Auslegungsfragen noch nicht ausgetragen sind. Dass seine nach sorgfältiger Prüfung erlangte und vertretbare Rechtsauffassung später von den Gerichten missbilligt wird, kann dem Beamten nicht rückschauend als Verschulden angelastet werden (BGH NJW 2003, 3693 ff, nach juris Rn. 39).

 

Dass die Beamten des Bundeskartellamts ihre Entscheidung ohne eine gewissenhafte tatsächliche und rechtliche Prüfung getroffen oder sie nicht auf vernünftige, sondern abwegige oder gar sachwidrige Überlegungen gestützt hätten, ist nicht ersichtlich.

 

a) Den sachlich und räumlich relevanten Markt hat das Bundeskartellamt rechtsfehlerfrei bestimmt (OLG Düsseldorf, Beschluss v. 26.11.2008, Az. VI-Kart 8/07, nach juris Rn. 43 f.; BGH, Az. KVR 1/09, nach juris Rn. 36 ff.).

 

b) Ein sorgfaltswidriges Verhalten der handelnden Beamten im Rahmen der Tatsachenermittlung liegt entgegen der Behauptung der Klägerin nicht vor ...

 

    ► ... die Beamten hätten die gesetzlichen Regelungen trotz höchstrichterlich geklärter Auslegungsfragen falsch angewendet

 

c) Ein Verschulden der handelnden Beamten kann entgegen der Ansicht der Klägerin auch nicht damit begründet werden, dass die Beamten trotz klarer und eindeutiger gesetzlicher Bestimmungen und höchstrichterlich geklärter Auslegungsfragen die gesetzlichen Regelungen falsch angewendet haben.

 

Das Bundeskartellamt hatte zu prüfen, ob von dem ... angemeldeten Zusammenschluss zu erwarten war, dass er (auf dem zutreffend abgegrenzten Markt) eine marktbeherrschende Stellung begründet oder verstärkt (§ 36 Abs. 1 S. 1 GWB).

 

Was unter einer marktbeherrschenden Stellung zu verstehen ist, ergibt sich aus § 19 GWB, wobei hier die drei führenden Unternehmen (Z,  und Oticon) die zahlenmäßige Voraussetzung der Oligopolvermutung nach § 19 Abs. 3 S. 2 Nr. 1 GWB erfüllt haben ...  Damit hatte das Bundeskartellamt zu prüfen, ob den unter die Oligopolvermutung fallenden Unternehmen der Nachweis gelungen war, dass die Wettbewerbsbedingungen zwischen ihnen wesentlichen Wettbewerb erwarten ließen oder die Gesamtheit der Unternehmen im Verhältnis zu den übrigen Wettbewerbern keine überragende Marktstellung hatte.

 

Bei den Begriffen „wesentlicher Wettbewerb" und „überragende Marktstellung" handelt es sich um unbestimmte Rechtsbegriffe; ob sie jeweils vorliegen, hatten die Beamten des Bundeskartellamts aufgrund einer Gesamtbetrachtung aller für den betroffenen Markt bedeutsamen Wettbewerbsbedingungen zu entscheiden (BGH, Beschluss vom 11.11.2008, Az. KVR 60/07, nach juris Rn. 39; BGH, Beschluss vom 20.4.2010, Az. KVR 1/09, nach juris Rn. 55), wobei die Ausfüllung der Rechtsbegriffe in hohem Maße von Wertungen auf der Grundlage des Zwecks des § 19 GWB abhing (Ruppelt in Langen/Bunte, GWB, § 19 Rn. 48, 50, 58).

 

Die Tatbestände der §§ 19 und 36 GWB sind zwar nicht neu im Sinne der oben genannten Rechtsprechung. Ihre Auslegung stellte die Beamten des Bundeskartellamts aber vor besondere Herausforderungen, weil die sich stellenden Auslegungsfragen nicht als höchstrichterlich geklärt gelten konnten.

 

Das Gericht erster Instanz der Europäischen Gemeinschaften (EuG) hat erstmals mit einer Entscheidung vom 6.6.2002 die Prüfkriterien für die Annahme einer kollektiven Marktbeherrschung vorgegeben (EuG, Urteil v. 6.6.2002, Az. T-342/99, Slg. 2002, II-2585). Das Urteil wird als Anfangspunkt einer Entwicklung gesehen, die dazu geführt hat, dass im Rahmen der Fusionskontrolle Erkenntnisse der Industrieökonomik berücksichtigt werden (sog. more economic approach). Ökonomische Betrachtungen sind auch Grundlage der hier angegriffenen Entscheidung des Bundeskartellamts. Der BGH hat die Vorgaben des EuG jedoch erst mit einem Urteil vom 11.11.2008, also nach Erlass der streitgegenständlichen Untersagungsverfügung, in das deutsche Recht übertragen (vgl. BGHZ 178, 285 ff., nach juris Rn. 39 ff, mit Verweis auf EuG, Urteil v. 06.06.2002, T-342/99). Im Zeitpunkt des Erlasses der Untersagungsverfügung stellten sich den handelnden Beamten mithin nicht nur tatsächliche Fragen, sondern insbesondere Auslegungsfragen, deren Klärung im nationalen Recht damals erst am Anfang stand und die noch nicht Gegenstand höchstrichterlicher Entscheidungen gewesen waren.

 

Zudem hatten die Beamten des Bundeskartellamts die umfangreichen Informationen, die sie im Rahmen der Tatsachenfeststellung erhoben hatten, einer wertenden Gesamtbetrachtung zu unterziehen. Allgemeine Regeln für diese Gesamtbetrachtung gab und gibt es nicht. Der BGH hat mit Urteil vom 8.6.2010 vielmehr unter Berufung auf ein Urteil des EuGH vom 10.7.2008 festgestellt: „Es kommt jedoch nicht darauf an, dass die genannten Kriterien sämtlich in dem Sinne erfüllt sind, dass die Analyse jedes einzelnen Strukturmerkmals für sich genommen auf Anreize für einheitliches Verhalten hindeutet. Maßgeblich bleibt vielmehr eine wertende Gesamtbetrachtung, bei der die einzelnen Strukturelemente im Hinblick auf ihre Bedeutung für den konkreten Markt zu gewichten und darauf zu untersuchen sind, ob und in welchem Umfang sie tatsächlich geeignet sind, ein (zumindest stillschweigendes) einheitliches Vorgehen der beteiligten Unternehmen zu erleichtern (vgl. EuGH, WuW/E EU-R 1498 Rn. 125 f. - Bertelsmann/Impala)" (BGH WM 2010, 2186 ff., nach juris Rn. 21).

 

Welchen der einzelnen Umstände das jeweilige Entscheidungsgremium dabei ein größeres Gewicht beimisst, ist jedoch stets auch Gegenstand persönlicher, durch eigene Erfahrungen geprägter Einschätzung. Dass ein Entscheidungsgremium bei einer Vielzahl gegeneinander abzuwägender Gesichtspunkte zu einem anderen Ergebnis kommen kann, als ein anderes Entscheidungsgremium, liegt hierbei in der Natur der Sache. Deshalb kann es bei einer einzelfallbezogenen Gewichtung vielfacher Umstände eine Unterscheidung nach richtig und falsch nicht oder allenfalls nur in Fällen eines evidenten Irrtums geben. Einen evidenten Irrtum zeigt die Klägerin aber nicht auf ...

 

    ► Auch haben die handelnden Beamten die Beweislast nicht verkannt

 

d) ... h) Schließlich haben die handelnden Beamten entgegen der Auffassung der Klägerin die Beweislast nicht verkannt. Die Annahme der Klägerin, die Oligopolvermutung sei dadurch widerlegt gewesen, dass selbst das Amt am Ende seiner Ermittlungen das Bestehen wesentlichen Wettbewerbs vor dem Zusammenschluss nicht ausschließen konnte, trifft nicht zu.

 

Sowohl die formelle als auch die materielle Beweislast liegt bei Vorliegen des Vermutungstatbestandes bei den am Zusammenschluss beteiligten Unternehmen (Ruppelt in Langen/Bunte, GWB, § 19 Rn. 90 f. m. w. N.). Wenn das Bundeskartellamt ausgeführt hat, dass es wesentlichen Wettbewerb nicht ausschließen konnte, ist das dahin zu verstehen, dass ein letzter Zweifel verblieb, ob ein solcher wesentlicher Wettbewerb bestand oder nicht. Zweifel gehen aber nach der obigen Vermutungsregel zu Lasten der anmeldenden Unternehmen (Ruppelt in Langen/Bunte a. a. O.). Es reichte für eine Widerlegung der Oligopolvermutung danach gerade nicht, dass das Bundeskartellamt das Bestehen wesentlichen Wettbewerbs nicht ausschließen konnte.

 

    ► Der Annahme eines Verschuldens der handelnden Beamten stehen auch die Grundsätze der sog. „Kollegialgerichts-Richtlinie" entgegen

 

2. Schließlich steht nach den Grundsätzen der sog. „Kollegialgerichts-Richtlinie" der Annahme eines Verschuldens der handelnden Beamten die bestätigende Entscheidung des OLG Düsseldorf (Beschluss v. 26.11.2008, VI-Kart 8/07) entgegen.

 

Die "Kollegialgerichts-Richtlinie" besagt, dass einen Beamten in der Regel kein Verschulden trifft, wenn ein mit mehreren Rechtskundigen besetztes Kollegialgericht die Amtstätigkeit als objektiv rechtmäßig angesehen hat (vgl. BGH, Urteil vom 16.10.1997, Az. III ZR 23/96 = NJW 1998, 751, 752 m. w. N.; BGH NVwZ 1998, 878 f., nach juris Rn. 12). Die Richtlinie beruht auf der Erwägung, dass von einem Beamten eine bessere Rechtseinsicht als von einem mit mehreren Rechtskundigen besetzten Kollegialgericht regelmäßig nicht erwartet und verlangt werden kann.

 

Die Auffassung der Klägerin, wonach die Kollegialgerichts-Rechtsprechung die Beklagte hier nicht entlasten könne, weil ihre Anwendung voraussetze, dass ein einzelner Beamter gehandelt hat, trifft nicht zu. Der BGH differenziert nicht nach der zahlenmäßigen Überlegenheit des Kollegialgerichts gegenüber dem/den vorher handelnden Beamten. Beispielsweise heißt es im Urteil v. 14.12.1978 (NJW 1979, 653 ff., nach juris Rn. 32): „(...) nachdem das Berufungsgericht - ein mit Berufsrichtern besetztes Kollegialgericht - das Verhalten der Bediensteten der Beklagten (ebenso wie vor ihm schon das Landgericht) mit eingehender Begründung als rechtmäßig angesehen hat, kann den Bediensteten aus ihrem Verhalten jedenfalls kein Schuldvorwurf gemacht werden". Ebenso lassen sich hier die Entscheidungen BGH NJW 1977, 1148 f. und BGH NJW 1984, 168 ff. anführen, in denen jeweils mehrere Bedienstete der jeweiligen Körperschaft gehandelt hatten, ohne dass der BGH die Frage der zahlenmäßigen Überlegenheit des Kollegialgerichts aufgeworfen hätte.

 

    ► Die Anwendung der Richtlinie scheitert im Streitfall auch nicht am Vorliegen einer der vom BGH festgelegten Ausnahmefälle

 

Es liegt auch keiner der Ausnahmefälle vor, in denen der BGH die Anwendung der Richtlinie abgelehnt hat:

 

a) Die Kollegialgerichts-Richtlinie schließt den Verschuldensvorwurf nicht aus, wenn das Gericht die Rechtslage trotz klarer und eindeutiger gesetzlicher Bestimmungen verkannt oder eine eindeutige Bestimmung handgreiflich falsch ausgelegt hat (BGHZ 27, 338 ff., nach juris Rn. 13; BGH NJW 1979, 653 ff., nach juris Rn. 32).

 

Nach den obigen Ausführungen lagen der Entscheidung des Bundeskartellamts keine klaren und eindeutigen, sondern höchst auslegungsbedürftige und in ihrer Auslegung nicht geklärte gesetzliche Bestimmungen zu Grunde. Das OLG prüfte den Sachverhalt anhand derselben Regelungen. Damit war schon die erste Voraussetzung dieser Ausnahme nicht erfüllt.

 

b) Die Kollegialgerichts-Richtlinie wird ferner nicht angewendet, wenn das Gericht infolge unzureichender Tatsachenfeststellung von einem anderen Sachverhalt als dem, vor den der Beamte gestellt war, ausgegangen ist oder den festgestellten Sachverhalt nicht sorgfältig und erschöpfend gewürdigt hat (BGH NJW 1989, 1924 ff., nach juris Rn. 30, BGH VersR 1991, 308, nach juris Rn. 4) bzw. rechtliche Gesichtspunkte übersehen hat, unter denen der Sachverhalt zu würdigen war (BGH NJW 1979, 653 ff., nach juris Rn. 32) oder sich bereits in seinem Ausgangspunkt von einer rechtlich verfehlten Betrachtungsweise nicht hat freimachen können (BGH ZIP 1988, 921 ff, nach juris Rn. 38).

 

Das OLG Düsseldorf hat seiner Entscheidung die von dem Bundeskartellamt ermittelten Tatsachen zugrunde gelegt, welche auch der BGH als vollständig anerkannt hat. Der Umfang und die argumentative Tiefe der Entscheidung des OLG Düsseldorf stehen der Annahme, es habe den Sachverhalt nicht sorgfältig und erschöpfend gewürdigt, entgegen. Auch sind keine rechtlichen Gesichtspunkte übersehen worden, noch war die rechtliche Betrachtungsweise im Ausgangspunkt verfehlt - fehlerhaft war nach der Entscheidung des BGH allein die durch das OLG Düsseldorf vorgenommene Gewichtung bestimmter Umstände.

 

c) Entgegen der Auffassung der Klägerin hat das OLG Düsseldorf die Entscheidung des Bundeskartellamts auch nicht aus Gründen gebilligt, die dieses selbst nicht erwogen hat (BGH, Urteil vom 11.6.1981, NJW 1982, 36 ff., nach juris Rn. 19 ff.; BGH, Urteil v. 26.11.1987, Az. III ZR 260/86, nach juris Rn. 5; BGH, Urteil v. 29.10.1987, Az. III ZR 251/86, nach juris Rn. 8). Dabei schließt nicht jede Abweichung zwischen den Erwägungen, die der Beamte getroffen hat, und denen, die das Gericht angestellt hat, die Anwendung der Kollegialgerichts-Richtlinie aus. Vielmehr ist darauf abzustellen, dass die Erwägungen im Kern übereinstimmen (BGH, Urteil 26.11.1987, a. a. O.)

 

[Sowohl] das Bundeskartellamt als auch das OLG Düsseldorf [haben] dieselben gesetzlichen Regelungen geprüft ... Die unterschiedliche Gewichtung der geprüften Kriterien durch das Bundeskartellamt einerseits und das OLG Düsseldorf andererseits ändert jedoch nichts daran, dass beide im Kern von übereinstimmenden Erwägungen ausgegangen sind.

 

e) Ferner hat das OLG Düsseldorf die Tätigkeit der Behörde auch nicht lediglich anhand eines gegenüber der eigenen Prüfungspflicht des Beamten reduzierten Prüfungsmaßstabes - der Maßstab der Vertretbarkeit - gebilligt (BGH NJW 1998, 751 ff., nach juris Rn. 15). Es liegt auch kein Fall vor, in dem das Gericht nur in einem summarischen Verfahren (z.B. bei Verfahren im einstweiligen Rechtsschutz) die Behördenentscheidung geprüft und für rechtmäßig gehalten hat. Der Untersagungsbeschluss unterlag vielmehr der vollen gerichtlichen Kontrolle des Beschwerdegerichts.

 

f) Schließlich erkennt die Rechtsprechung eine Ausnahme von der Richtlinie in solchen Fällen an, in denen eine zentrale Dienststelle auf höchster Ebene entschieden hat, wobei bereits durch die Zusammensetzung des Entscheidungsgremiums ein Höchstmaß an Sachkenntnis zu erwarten und die Fähigkeit zu besonders gründlicher Prüfung zu verlangen ist (so für Kassenärztliche Bundesvereinigung BGH NJW 2002, 1793 ff., nach juris Rn. 21). Bei einem Verfahren einer obersten Landesbehörde, die mit einer atomrechtlichen Anlagengenehmigung befasst war, hat der BGH darauf abgestellt, dass bei einem Verfahren dieser Art auf höchster Ebene - anders als bei "Alltagsgeschäften" sonstiger staatlicher Genehmigungsbehörden - eine besonders gründliche Prüfung möglich und zu verlangen ist (BGH NVwZ 1997, 714 ff., nach juris Rn. 23). Dieser Rechtsprechung liegt der Gedanke zugrunde, dass für die Anwendung der Kollegialgerichts-Richtlinie die innere Rechtfertigung fehlt, wenn es sich bei der Amtshandlung um grundsätzliche Maßnahmen zentraler Dienststellen handelt, die ihre Entscheidung in ruhiger Abwägung aller Gesichtspunkte und unter Benutzung allen einschlägigen Materials treffen können, die also wie ein Gericht sachkundig und rechtskundig das Für und Wider in Ruhe abwägen können, insbesondere wenn sie dabei ein Spezialgesetz handhaben, dessen Bestimmungen ihnen aus täglicher Anwendung besonders vertraut sind (BGH NJW 1962, 793, 794; BGH NJW 1977, 1148 ff., Rn. 51).

 

Diese Ausnahme greift nach Überzeugung der Kammer hier nicht ein. Zwar handelt es sich bei dem Bundeskartellamt um eine fachlich spezialisierte Bundesoberbehörde und damit um eine zentrale Dienststelle im Sinne der obigen Rechtsprechung. Jedoch handelte es sich schon nicht um eine grundsätzliche Maßnahme im obigen Sinne, sondern angesichts von 2.242 Zusammenschlusskontrollfälle im Jahr 2007 durchaus um das „Alltagsgeschäft" einer staatlichen Genehmigungsbehörde. Eine ruhige Abwägung aller Gesichtspunkte unter Benutzung allen einschlägigen Materials dürfte in Fällen der Fusionskontrolle zudem nur schwer möglich sein, da gemäß § 40 Abs. 2 GWB das Prüfverfahren innerhalb von vier Monaten ab Eingang der vollständigen Anmeldung (die in der Regel nur wenige Seiten stark ist) abgeschlossen ist - entweder durch eine den Zusammenschluss untersagende Verfügung oder durch die gesetzliche Genehmigungsfiktion. Innerhalb dieser vier Monate muss die zuständige Beschlussabteilung des Bundeskartellamts durch ergänzende Nachfragen bei den Zusammenschlussbeteiligten, durch Marktbefragungen und Marktermittlungen bei Wettbewerbern, Abnehmern, Lieferanten und ggf. Dritten die für die Entscheidung erforderliche Tatsachengrundlage schaffen, die Informationen auswerten und die getroffenen Feststellungen nach ihrer Bedeutung im konkreten Fall bewerten. Der Umstand, dass das Bundeskartellamt auf z. T. freiwillige Angaben der verschiedenen Marktteilnehmer angewiesen ist, führt nach den unstreitigen Ausführungen der Beklagten dazu, dass die Ermittlung des entscheidungserheblichen Sachverhalts regelmäßig erst unmittelbar vor Erlass der verfahrensabschließenden Entscheidung oder der Gewährung rechtlichen Gehörs durch ein schriftliches Abmahnschreiben einen Stand erreicht, der eine materielle Prüfung erlaubt. So war es nach dem unwidersprochen gebliebenen Vortrag der Beklagten auch hier.

 

Die letztgenannte Ausnahme von der Richtlinie greift auch aus einem weiteren Grund nicht ein. Der BGH betont, dass der Richtlinie die innere Rechtfertigung fehle, wenn die Bediensteten einer zentralen Dienststelle ein Spezialgesetz handhaben, dessen Bestimmungen ihnen aus täglicher Anwendung besonders vertraut sind. Demgegenüber haben Gerichte in der Regel nicht die fachliche Spezialisierung, die z. B. Bundesoberbehörden haben. Im Falle der beiden Kartellsenate des OLG Düsseldorf trifft diese Erwägung nicht zu. Auch sie handhaben ein Spezialgesetz, dessen Bestimmungen ihnen aus täglicher Anwendung besonders vertraut sind.

 

    ► Wegen des fehlenden Verschuldens der Beamten kann offen bleiben, ob der Klägerin überhaupt ein erstattungsfähiger Schaden entstanden ist

 

IV. Da es an einem Verschulden der handelnden Beamten fehlte, kommt es nicht darauf an, ob der Klägerin überhaupt ein erstattungsfähiger Schaden entstanden war. Dies ist insbesondere deshalb zweifelhaft, weil die Klägerin die Unternehmensgruppe A nach wie vor in ihren Händen hält und sie im Beschwerdeverfahren zur Begründung ihres Fortsetzungsfeststellungsinteresses dargelegt hat, dass A jederzeit wieder  oder einem der beiden anderen führenden Anbieter von Hörgeräten zum Kauf  angeboten werden kann (BGH, Beschluss vom 20.4.2010, Az. KVR 1/09, nach juris Rn. 18). Vor diesem Hintergrund begegnet auch die Berechnung der Schadenshöhe durch die Klägerin, die für den anzurechnenden Wert des bei ihr verbliebenen Vermögensgegenstands lediglich den Fortführungswert ansetzt, gewichtigen Bedenken...

 

 

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